Kommentar zu Krebstherapie bei Senioren
Vorsicht von der Stange ist auch keine Lösung
Ein modernes Gesundheitssystem sollte den Aufwand nicht scheuen, Therapien auch bei älteren Patienten individuell anzupassen.
Veröffentlicht:Wenn über die Krebsversorgung im (höheren) Alter gesprochen und geschrieben wird, dann oft unter der latenten Prämisse, dass bei alten Menschen tendenziell therapeutische Zurückhaltung geübt werden sollte.
Schon Begriffe wie „Polymedikation“, „Gebrechlichkeit“ oder „fehlende Organreserven“ mahnen jeden vernünftigen Arzt zur Vorsicht. Natürlich zu Recht: Wer will schon, dass ein 80-Jähriger, der zu Fuß in die Sprechstunde kommt, ein paar Wochen später auf der Intensivstation liegt?
Nur hilft Vorsicht allein auch nicht immer weiter: Wer übervorsichtig ist, behandelt auch die nicht, die stark profitieren könnten. Die Berliner Onkologin Professor Diana Lüftner deutete diese Problematik beim Deutschen Krebskongress in einer Plenarsession zu Krebs im Alter in einem Nebensatz an: Dass ältere Frauen mit fortgeschrittenem Mammakarzinom viel seltener operiert werden als jüngere, liege möglicherweise nicht nur am höheren Operationsrisiko, sondern (auch) daran, dass ihnen brusterhaltende Operationen seltener angeboten werden.
Das gilt auch in anderen Bereichen: Wer schon einmal eine 75-jährige Leukämiepatienten nach Knochenmarkstransplantation aus der Klinik und kurze Zeit später auf den Golfplatz hat spazieren sehen, der tut sich schwer mit angeblich gleichwertigen, palliativen Therapiekonzepten. Gefragt bei Krebspatienten im Alter sind weder Therapien von der Stange noch Vorsicht von der Stange, stattdessen eine individualisierte Betrachtung des ganzen Patienten und des sozialen Umfelds.
So etwas kostet Zeit, und es will organisiert sein. Aber diesen Aufwand sollte ein Gesundheitssystem nicht scheuen.
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