Skoliose
Wann Korsett-Therapie, wann Operation?
Nicht immer sind sich konservative und operative Orthopäden einig, ob Skoliose-Patienten mit einem Korsett oder operativ versorgt werden sollten. Jetzt sind neue Entscheidungskriterien vorgestellt worden.
Veröffentlicht:BERLIN. Vieles spricht dafür, dass bei Patienten mit einer Skoliose ab einer Krümmung von > 40-50° der Wirbelsäulenchirurg zum Zug kommen sollte.
Denn bei diesen Patienten ist während des Wachstums und nach Wachstumsabschluss in den folgenden vier Lebensdekaden je nach Skoliosetyp mit einer Winkelzunahme um 15-25° zu rechnen.
Daher plädierte Professor Henry Halm von der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie mit Skoliosezentrum der Schön Klinik Neustadt / Holstein dafür, diese Patienten zu operieren.
Denn bei einer Korrektur mit einem Korsett sei bei einer thorakalen Krümmung um 25-50° und einer thorakolumbalen Krümmung um bis zu 40° bestenfalls das Ergebnis zu halten, erläuterte Halm beim Deutschen Kongress der Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) in Berlin.
Oft käme es aber zur Progredienz mit frühzeitigem Auftreten schmerzhafter degenerativer Veränderungen im Haupt- und Nebenkrümmungsbereich sowie zur Progredienz kardiorespiratorischer Einschränkungen.
Ziel: maximale Formkorrektur
Als Indikation zur Operation nannte Halm Thorakalskoliosen ab 45-50°, doppelbogige Skoliosen ab 35-50° und (Thorako)-Lumbalskoliosen ab 35-40°.
Ziel des Eingriffs seien eine maximale dreidimensionale Formkorrektur mit lotrechter Wirbelsäulenausrichtung und Schultergradstand, eine kurze Fusionsstrecke, Primärstabilität, ein gutes kosmetisches Ergebnis und die größtmögliche Sicherheit.
Die Korrekturprinzipien seien Distraktion (konkav), Kompression (konvex), Translation (am Apex) und - bei ventraler Operation - die Derotation.
Während bei Erwachsenen immer eine dorsale Operation erfolgt, bietet sich bei der idiopathischen Skoliose von Adoleszenten mit einbogig thorakaler oder einbogig (thorako)lumbaler Krümmung auch der ventrale Zugang an.
Er erlaube kurze Fusionsstrecken, eine exzellente Derotation und Spontankorrektur kompensatorischer Krümmungen und ginge mit einem geringen neurologischen Risiko (2 pro Mille bei 50 000 Fällen) und Risiko für Blutverlust und Infektionen einher, so Halm.
Fast nur dorsale Operationen
Die ventralen Doppelstabsysteme würden überlegene biomechanische Eigenschaften aufweisen und eine ideale Flachrücken-Korrektur ermöglichen. Bei ventraler Op könne eine fast optimale Korrektur in allen drei Ebenen erzielt werden, während bei dorsal eingebrachten Titanimplantaten oft Kyphose verloren würde.
Dennoch wird wegen der Lungenfunktionsdebatte heute fast ausschließlich dorsal operiert, auch wenn aktuelle Studien einen diesbezüglichen Unterschied zwischen ventraler und dorsaler Operation nicht bestätigen.
Die heute guten und schnellen Ergebnisse nach dorsalem Eingriff sind überzeugend, wie Dr. Bernd Wiesenhöfer, Sektion Wirbelsäulenchirurgie an der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie des Universitätsklinikum Heidelberg, betonte.
Dennoch bleibe der Nachteil gegenüber der ventralen Operation, dass weniger derotiert werden könne und trotz Weichteilschrauben ein Segment mehr für die Korrektur benötigt würde. Auch der Blutverlust und das Risiko für neurologische Komplikationen seien höher.
Als Vorteile nannte Wiesenhöfer, dass alle Kurventypen versorgt werden könnten, der Eingriff anästhesiologisch einfacher sei, es zu keiner Beeinträchtigung der Lungenfunktion komme, die Schulterfunktion kürzer beeinträchtigt, die Pseudarthrosenrate geringer und keine Thoraxdrainage erforderlich sei.
Die Langzeitergebnisse sind bei ventraler und dorsaler Operation gut. Ein Jahr nach dem Eingriff ist alles erlaubt.