Seltener Fall

Wenn Männer mehr als zwei Hoden haben

Überzählige Hoden sind meist asymptomatisch. Bei einem jungen Mann mit akutem Skrotum machten australische Urologen jetzt einen überraschenden Zufallsbefund.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Auch zwei Hoden können zu Problemen führen, doch eine größere Anzahl muss manches Mal behandelt werden.

Auch zwei Hoden können zu Problemen führen, doch eine größere Anzahl muss manches Mal behandelt werden.

© Diy13 / stock.adobe.com

MELBOURNE. Ein 29-Jähriger suchte die Notfallaufnahme des Alfred-Hospitals in Melbourne auf, weil er in den neun Stunden zuvor plötzlich aufgetretene linksseitige Hodenschmerzen hatte. Er hatte keine Harnwegsbeschwerden, keine Infektion und keinen Harnröhrenausfluss.

Er gab an, seit Beginn der Schmerzen nicht mehr sexuell aktiv gewesen zu sein. Dr. Joshua Kealey und seine Kollegen entdeckten schließlich per Ultraschall linksseitig zwei Hoden, einen mit und einen zusätzlichen ohne Unterbrechung des Blutflusses (Urol Case Rep 2018; 20:92–3, doi: 10.1016/j.eucr.2018.07.010).

Die nähere Untersuchung ergab eine Torsion des normalen, noch intakten Hodens sowie einen zusätzlichen, nur etwa zwei Zentimeter großen Hoden mit einem eigenen Samenleiter. Der Patient wurde notfallmäßig versorgt, indem beide linksseitigen Hoden fixiert wurden und beim rechten Hoden eine prophylaktische Orchidopexie erfolgte.

Etwa 200 bekannte Fälle

Überzählige Hoden treten selten auf. Bisher gibt es nur etwa 200 Berichte über solche anatomischen Anomalien, wie Kealey und seine Kollegen berichten. Meist liege nur ein zusätzlicher Hoden vor, doch es gebe Männer mit vier oder gar fünf Hoden. Wie es zur Polyorchie komme, sei noch nicht genau geklärt.

Nach Angaben der australischen Ärzte werden je nach anatomischer Anlage vier Typen überzähliger Hoden unterschieden. Bei dem häufigsten Typ teilen sich zwei Hoden einer Körperseite einen Nebenhoden und einen Samenleiter. Bei der Fehlentwicklung wird die linke Seite bevorzugt: 75 Prozent aller überzähligen Hoden finden sich linksseitig, wie Chirurgen der Kinderklinik Altona in Hamburg in einer systematischen Untersuchung herausgefunden haben (J Urol 2009; 182: 2422–2427).

Fast 70 Prozent treten innerhalb des Skrotums auf, jeder zehnte zusätzliche Hoden abdominal. Lageanomalien (40 Prozent), Hernien (30 Prozent), Torsionen (15 Prozent), Hydrozele (9 Prozent) und Malignome (6 Prozent) seien die häufigsten Anomalien bei überzähligen Hoden, so die Ärzte.

Sie erinnern daran, dass Kryptorchismus der bedeutendste Risikofaktor für Malignome sei, wobei sie hier unabhängig von der Position der Hoden seien. Die Malignomrate bei überzähligen Hoden betrage 4 bis 7 Prozent.

Meist keine Entfernung nötig

Dominierendes Symptom bei Polyorchie mit Hodentorsion sind Schmerzen. Meist treten sie aufgrund der Verdrehung des überzähligen Hodens auf, wohl weil er beweglicher ist. Bei dem 29-Jährigen war das nicht der Fall.

Wenn der überzählige Hoden funktionstüchtig sei und kein Hinweis auf Malignität vorliege, sollte er nicht entfernt werden, so die Ärzte. Bei einer Torsion des überzähligen Hodens empfehlen sie die übliche Vorgehensweise. Die beidseitige Fixierung solle zügig nach der Diagnose erfolgen.

Offenbar gab es so manchen Regenten, der mit einem dritten Hoden ausgestattet war. Professer em. Eberhard Nieschlag, ehemaliger Direktor des Instituts für Reproduktionsmedizin, Emeritus am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Uniklinikums Münster und seine Kollegen weisen etwa darauf hin, dass „Landgraf Philipp von Hessen (1504–1567) aufgrund eines dritten Hodens 1539 von Luther die Genehmigung erhielt, neben Christina von Sachsen mit Margarete von der Saale als zweiter Ehefrau gleichzeitig verheiratet zu sein“.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 24.01.201909:43 Uhr

Regent mit drittem Hoden - "Fake News"?

Vgl. dazu Der Urologe - January 2018, Volume 57, Issue 1, pp 44–53
"Der hessische Landgraf Philipp der Großmütige (1504–1567) - Seine Krankheiten und ihre politischen Folgen" von Gerhard Aumüller https://link.springer.com/article/10.1007/s00120-017-0524-z

"Zusammenfassung - Landgraf Philipp von Hessen war eine der führenden Gestalten des Reformationszeitalters. Seine Nebenehe mit Margarete von der Saale führte zu einem massiven Ansehensverlust, und die Aufteilung seiner Herrschaft auf seine vier legitimen Söhne leitete die Spaltung in verschiedene Linien ein. Seine angebliche Triorchie, die man für eine verstärkte sexuelle Aktivität verantwortlich machte, war wohl eine einfache Spermatozele. Die retrospektive Diagnose einer Syphilis ist ebenso fragwürdig. Seine sozialmedizinische Bedeutung liegt in der Gründung der hessischen Hohen Hospitäler zur Versorgung der Armen und Kranken auf dem Lande."

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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