Diabetes

Wie Psychotherapie den Stoffwechsel verbessert

Viele Patienten mit Diabetes haben mit Depressionen zu kämpfen, was ihre Erkrankung verschlimmert. Zwei Psychotherapeuten berichten, wie es ihnen gelungen ist, durch psychotherapeutische Interventionen den Stoffwechsel eines Typ-2-Diabetikers zu verbessern.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Psychotherapie kann Diabetes-Patienten mit Depressionen helfen, ihre psychische Verfassung und letztlich auch die Stoffwechsellage zu verbessern, weil sich dadurch die Therapie-Adhärenz erhöht.

Psychotherapie kann Diabetes-Patienten mit Depressionen helfen, ihre psychische Verfassung und letztlich auch die Stoffwechsellage zu verbessern, weil sich dadurch die Therapie-Adhärenz erhöht.

© Uwe Anspach / dpa

GIESSEN/MARBURG. Die Assoziation von Depression und Diabetes mellitus beeinflusst die Stoffwechseleinstellung und die Wahrscheinlichkeit von Diabetes-Folgeerkrankungen. Diese Assoziation ist häufig: Jeder dritte Patient mit Diabetes leide unter depressiven Symptomen, erklären Dipl.-Psych. Birgit Köhler und Professor Johannes Kruse vom Universitätsklinikum Gießen und Marburg.

Eine enge Verzahnung von diabetologischer und psychotherapeutischer Behandlung kann sich unter Umständen gravierend auf die Blutzuckerwerte, den Allgemeinzustand und die Lebensqualität auswirken, wie Köhler und Kruse anhand der Kasuistik eines Typ 2-Diabetikers schildern (DMW 2014; 139: 592-595).

Non-Adhärenz verstärkt

Depressive Diabetiker fallen als "schwer einstellbar" und "schwierig" auf. Die depressiven Symptome seien oft nicht eindeutig zu erkennen, weil sie überdeckt würden von typischen Diabetes-Symptomen wie etwa Konzentrationsstörungen, erläutern Köhler und Kruse.

Bei dem von ihnen beschriebenen 65-jährigen Patienten war drei Jahre vor seiner Vorstellung an der Uniklinik ein Typ 2-Diabetes diagnostiziert worden, außerdem bestanden eine Adipositas und Hypertonie.

 Der Verlauf war in vieler Hinsicht durch die Non-Adhärenz des Patienten geprägt, verstärkt durch psychische Probleme, die vordergründig mit dem Tod der Ehefrau zusammenhingen.

Letztlich hatten sich weder der Glukosestoffwechsel noch die Adipositas oder die arterielle Hypertonie verbessert, eine antidepressive Pharmakotherapie war ebenfalls erfolglos geblieben.

Der Patient nahm unregelmäßig seine Medikamente, aß unkontrolliert große Mengen Süßigkeiten, verspürte zugleich Scham darüber, dass es ihm nicht gelang, seine Medikamente regelmäßig einzunehmen und schilderte große Ängste vor Folgeerkrankungen, vor allem Erblindung.

Beim Erstkontakt in der psychosomatischen Ambulanz im Rahmen eines Forschungsprojekts waren eine von emotionaler Vernachlässigung und Gewalt geprägte Kindheit zu eruieren.

Es bestand ein starkes Vermeidungsverhalten mit mittelgradiger depressiver Episode und Dysthymie mit vermindertem Antrieb, gedrückter Stimmung, Schlafstörungen, Energieverlust, Abgeschlagenheit, vermindertem Selbstwertgefühl und Konzentrationsschwierigkeiten.

Ausgeprägte Versorgungs- und Geborgenheitswünsche lagen ebenso vor wie Angst vor Kritik, Angst davor, Hilfe von anderen Menschen anzunehmen sowie vor gewaltsamen Übergriffen. Der Blutdruck lag bei 190/115 mmHg, der HbA1c betrug 8,4 Prozent, und die Triglyceride lagen bei 601 mg/dl.

Psychotherapie von Vorteil

Ein halbes Jahr später lag der HbA1c nur noch bei 6,8 Prozent, weitere sechs Monate später bei 6,5 Prozent, und der Blutdruck hatte sich normalisiert (120/80 mmHg). Was war passiert?

Zunächst war der Patient schrittweise für eine Psychotherapie motiviert worden, indem die Psychotherapeutin durch psychoedukative Interventionen mit dem Patienten an den Ängsten, Scham- und Schuldgefühlen sowie am Selbstbild gearbeitet hatte. Entgegen den Beziehungserwartungen des Patienten verhielt sich die Psychotherapeutin wertschätzend und interessiert an den Umsetzungsproblemen des Patienten.

Ressourcenorientiert erarbeiteten sie erste Situationen, in denen es dem Patienten gelang, bestimmte Therapieschritte umzusetzen. Im Zuge dessen begann er sich für die psychischen Hintergründe seiner Probleme im Umgang mit dem Diabetes mellitus zu interessieren.

Motiviert durch die ersten Gespräche, plante der Patient, seine Medikamente regelmäßig zu nehmen, die Blutzuckerwerte täglich zu messen, seine Diabetesberaterin aufzusuchen und auf seinem Ergometer zu trainieren.

Es folgte eine stationäre psychosomatische Komplexbehandlung über sechs Wochen mit Einzel- und Gruppenpsychotherapie, Musik- und Kunsttherapie, Bewegungstherapie und Entspannungsverfahren sowie störungsorientierten und störungsübergreifenden Interventionen.

"So nahm die depressive Symptomatik deutlich ab, der Patient gewann an Selbstvertrauen und Antrieb und fand Interesse an verschiedenen sozialen Aktivitäten", beschreiben Köhler und Kruse den Verlauf.

"Mehrere Schnittstellen von Bedeutung"

Im Anschluss an die stationäre Behandlung erfolgte ambulant eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Im Zuge dessen ging es dem Patienten psychisch wie körperlich zunehmend besser.

"Um Verbesserungen zu erreichen sind mehrere Schnittstellen von Bedeutung", erklären die Psychotherapeuten aus Gießen und Marburg.

So könnten durch die enge Zusammenarbeit von Diabetologen und Psychosomatikern in diabetologischen Schwerpunktpraxen oder psychosomatischen Institutsambulanzen betroffene Patienten zeitnah gesehen und deren häufige Ambivalenz gegenüber einer Psychotherapie verringert werden. Wichtig sei es, den "erhobenen Zeigefinger", Bloßstellungen oder Anschuldigungen seitens des Behandlungsteams zu vermeiden und vielmehr eine den Patienten akzeptierende Einstellung an den Tag zu legen.

"Erleben die Patienten die psychosomatische Begleitung als unterstützend, sind sie oft eher bereit, die Gespräche in einer längerfristigen ambulanten Psychotherapie fortzusetzen oder sich auf eine stationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung einzulassen."

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Kommentare
Dr. Patricia Klein 04.09.201412:50 Uhr

Kasuistik

Eine sehr interessante Kasuistik, die allerdings nicht mehr erklärt, als jeder Allgemeinmediziner dank gesundem Menschenverstand und täglicher Praxis ohnehin schon weiß. Ob es hier einer Psychotherapie bedarf, sei dahingestellt. Ein einfühlsamer, wertschätzender und professionell agierender Hausarzt ist schon ein großer Schritt auf der Therapieleiter. Erst bei Versagen dieser Primärtherapie sollte an eine Psychotherapie gedacht werden.

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