Kolonkapsel
Zukunftsmodell in der Darmkrebsvorsorge?
Immer noch lassen die Teilnehmerzahlen für Vorsorgekoloskopien zu wünschen übrig. Kein Wunder also, dass Möglichkeiten gesucht werden, um die Darmkrebsfrüherkennung attraktiver zu machen. Professor Jürgen Riemann fordert, die Kolonkapsel bei der Vorsorge stärker zu berücksichtigen.
Veröffentlicht:Professor Jürgen F. Riemann
Ehemaliger Direktor der Medizinischen Klinik C am Klinikum Ludwigshafen.
Vorsitzender der Stiftung LebensBlicke, die sich den Kampf gegen Darmkrebs auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Der Gastroenterologe hat die Stiftung 1998 gegründet.
Ärzte Zeitung: Herr Professor Riemann, auf einem Workshop der Stiftung LebensBlicke diskutierten Experten, ob die Kolonkapsel ein Zukunftsmodell für Darmkrebsvorsorge- und Früherkennung sein könnte. Reichen die Daten denn überhaupt aus, um die Kolonkapsel als Screening-Methode einzusetzen?
Professor Jürgen Riemann: Wir beschäftigen uns mit dieser innovativen Technik seit vielen Jahren; sie ist ja inzwischen schon für den Dünndarm etabliert.
Was den Einsatz der Kapsel bei der Dickdarm-Untersuchung angeht, steht noch ein etwas schwieriger Weg bevor. Das Problem ist, dass es noch keine überzeugenden evidenzbasierten Daten gibt, um eine solche Methode in die Regelversorgung einzuführen.
Dennoch gibt es bereits viele gute Studien, die nahelegen, dass die Kapsel eine sichere Methode mit hoher Spezifität und Sensitivität ist.
Diese Ergebnisse müssen allerdings noch, wie es für andere Testverfahren auch gilt, an einem größeren Kollektiv in prospektiven randomisierten Studien bestätigt werden; auch im Vergleich zu beispielsweise dem Stuhltest oder der Koloskopie.
Ist denn die technische Entwicklung der Kapsel ausreichend, um sie zum Screening zu nutzen?
Riemann: Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell die Technik Anschluss gefunden hat an das, was durch die optische Koloskopie vorgegeben ist.
Die Bildqualität der Kapsel ist ähnlich gut, und man hat inzwischen beispielsweise auch Möglichkeiten zur Größenbestimmung von Polypen.
Grundvoraussetzung für die Kapselendoskopie ist natürlich ein sauberer Darm. Im Gegensatz zur Koloskopie kann man ja bei der Kapsel nicht spülen; wenn der Darm nicht gut gereinigt ist, hat natürlich die Sicht bei der Kapsel ihre Grenzen.
Wie steht die Kolonkapsel im Vergleich zu Verfahren, wie der virtuellen Koloskopie oder dem immunologischen Stuhltest da?
Riemann:Die Stiftung LebensBlicke hat schon immer die Meinung vertreten, je größer die Palette des Angebots für die individuelle Vorsorge, desto größer die Bereitschaft mitzumachen.
Man braucht also alles: vom niedrigschwelligen Stuhltest bis hin zum Goldstandard der Koloskopie. Dazwischen könnte irgendwo die Kapsel liegen.
Die virtuelle Kolonografie ist zwar eine sehr gute Technik mit Evidenz-basierten Daten. Da es aber bei uns Alternativen gibt, die strahlenunabhängig sind, wird sie im Screening keine Rolle spielen.
Ich denke, dass sich die Kolonkapsel in den nächsten Jahren einen Platz in der Vorsorge erarbeiten wird.
Und das war ja auch das Ziel des Workshops: klar aufzuzeigen, was zwingend erforderlich ist, um diese innovative Technik auf einen solchen Stand zu bringen, dass sie auch von gesetzlichen Krankenversicherungen angeboten werden kann.
In einem Modellprojekt der AOK in MVZs in Hof und Dorfen wird die Kolonkapsel als Alternative zur Koloskopie angeboten - und auch gut angenommen. Was können wir aus solchen Projekten lernen?
Riemann:Zunächst finde ich es einen sehr mutigen und begrüßenswerten Schritt, dass eine große Krankenkasse in einer Gegend, in der die Darmkrebsinzidenz sehr hoch ist, ihren Versicherten diese Methode anbietet.
Die Kolonkapsel hat ja einen gewissen Anreiz, weil sie technisch interessant ist und durchaus auch praktikable Ergebnisse liefert.
Die Kasse wollte mit diesem Angebot mehr Menschen für die Darmkrebsvorsorge und Früherkennung gewinnen. Und dass ihr das gelungen ist, spiegeln die ersten Daten ganz offensichtlich wieder.
Viele Menschen, die die Einladung zur Untersuchung mit der Kolonkapsel annahmen, haben nach ausführlicher Beratung sogar gleich eine Darmspiegelung gewählt.
Wenn es also gelingt, mit diesem Angebot mehr Menschen zur Darmspiegelung zu bewegen, dann könnte die Kapsel ein Vehikel zu einer besseren Inanspruchnahme der Vorsorge sein.
Sollte diese Untersuchung weiter überzeugende Daten liefern, dann ist diese Kasse sicher auch Willens, die Kapsel für ihre Versicherten in ihr Angebot der Früherkennung und Vorsorgemaßnahmen aufzunehmen.
Bei einigen Teilnehmern, die dieKapselendoskopie in Anspruch nahmen, wurde im Anschluss doch noch eine Koloskopie durchgeführt, etwa wenn die Kapsel einen pathologischen Befund ergeben hatte...
Riemann: ...Ja, das ist der zweite Punkt! Die Kapselendoskopie ist letztlich auch eine Filtertechnik. Sie liefert nur eine Diagnose, keine Therapie.
Wenn man 100 Menschen untersucht, wird man etwa bei 30 bis 40 einen auffälligen Befund haben. Die anderen würden "umsonst" einer invasiven Koloskopie unterzogen.
Die Filterfunktion und so auch die Verbesserung der Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchung ist eine ganz wichtige Leistung, die der Kapsel zukommen könnte.
Aber wird das dann nicht teuer, wenn man bei einigen Patienten beide Methoden anwenden muss?
Riemann: Wenn ein fortgeschrittener Darmkrebs durch viele Therapiezyklen mit den notwendigen Kontrolluntersuchungen und Arztkontakten zu einer chronischen Erkrankung geworden ist und dem Betroffenen dadurch zusätzliche Lebensjahre bringt, kann das die Versichertengemeinschaft bis zu mehrere Hundertausend Euro kosten.
Dann spielen solche Überlegungen keine Rolle mehr. Die Kosten so behandelter Darmkrebserkrankungen sind- auch durch die neuen individualisierten Therapieformen - derzeit deutlich höher als die Kosten für eine Prävention.
Wie positioniert sich die Stiftung LebensBlicke zu der Früherkennung mit der Kolonkapsel?
Riemann: Wie gesagt, die Kolonkapsel hat derzeit keinen Stellenwert für ein allgemeines Screening, da die evidenzbasierten wissenschaftlichen Daten dazu fehlen.
Sie hat aber jetzt schon klare Indikationen, die auch in europäischen und amerikanischen Leitlinien festgeschrieben sind: Das ist erstens die inkomplette Koloskopie - das sind immerhin zehn Prozent der Koloskopien.
Zum zweiten, kann sie bei Patienten eingesetzt werden, die eine Koloskopie ablehnen, die aber zu einer Kapselendoskopie bereit wären.
Sie sollte ferner Patienten zu Gute kommen, bei denen eine Sedierung zu riskant wäre, also zum Beispiel herzinsuffiziente Patienten oder Patienten mit einer schweren COPD.
Auch Patienten, die unter blutverdünnender Therapie stehen, können von der Kapselendoskopie profitieren.
Das sind ganz wichtige Indikationen, bei denen die Kapselendoskopie in die Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen werden sollte.