Corona-Einschränkungen
Ärzte warnen trotz Corona-Impfungen vor verfrühten „Öffnungs-Arien“
Impfstoffe sollten schnellstmöglich verimpft, die Priorisierung aufgehoben und Modellversuche mit Öffnungen gestoppt werden, fordern Kammerchef und Kliniker in Westfalen-Lippe. Den sie plagt eine Sorge.
Veröffentlicht:Münster. Auch wenn viele Beschäftigte in Krankenhäusern als Geimpfte von einer Rücknahme der Corona-Einschränkungen profitieren würden: Sie halten die Diskussion über Lockerungen für falsch und machen sich Sorgen über die möglichen Konsequenzen, berichtete Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Vertretern des Universitätsklinikums Münster (UKM).
Deutschland sei bislang so gut durch die Pandemie gekommen, dass es ausreichend Intensivbetten gibt, um COVID-Patienten und andere zu versorgen, sagte Gehle. „Wir fürchten, dass das jetzt infrage gestellt wird.“
Chancen nicht verspielen
Ärztinnen und Ärzte sowie die weiteren Beschäftigen in Kliniken und Praxen hätten einen großen Respekt vor den Menschen, die aufgrund der Pandemie Grundrechte aufgeben müssen, betonte er. Aber bei der Aufhebung der Einschränkungen für Reisende oder beim Einkaufen gehe es nicht um Grundrechte, unter deren Fehlen Menschen wirklich leiden müssten. „Wir haben die Chance, die Dinge in den Griff zu bekommen, die sollten wir alle miteinander nutzen“, forderte Gehle.
Trotz der rückläufigen Inzidenzzahlen und des Voranschreitens der Impfkampagne ist es für „Öffnungs-Arien“ noch zu früh, sagte auch Professor Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Molekulare Virologie des UKM. Es sei unbedingt wichtig, dass die Maskenpflicht und die Abstandsregeln weiter eingehalten werden.
Impfstoffe sofort nutzen
Ludwig plädierte dafür, alle Impfstoffe sofort zu nutzen und keine Rückstellungen mehr zu bilden. Dann ließe sich in wenigen Wochen eine Durchimpfungsrate von 50 Prozent erreichen.
Der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des UKM, Professor Hugo Van Aken, machte sich ebenso wie ÄKWL-Präsident Gehle für eine Aufhebung der Priorisierung bei den Impfungen stark. Sie würde es ermöglichen, junge Leute zu impfen sowie Menschen, die in Corona-Hotspots leben. „Wir haben festgestellt, dass zurzeit die höchste Inzidenz bei Personen zwischen 16 und 30 Jahren liegt“, sagte Van Aken. Sie hätten oft keine Symptome und erkrankten nicht. „Wir müssten versuchen, sie schnell zu impfen, um die Infektionsketten zu unterbrechen.“
Keine Modellversuche mehr
Trotz der vergleichsweise niedrigen Inzidenz in Münster rät der Klinikchef von einem Modellversuch mit Öffnungsszenarien in der Stadt ab. Sorgen macht ihm die Nähe zur niederländischen Grenze.
„Wenn es viel Tourismus in die Niederlande gibt, besteht die Gefahr, dass das Virus wieder eingeschleppt wird.“ „Von den Kollegen in den Niederlanden weiß ich, dass sie in sehr großer Not sind“, sagte Van Aken. In den dortigen Kliniken würden nur noch herzchirurgische und neurologische Operationen durchgeführt. Onkologische Eingriffe, bei denen die Unterbringung auf der Intensivstation nötig ist, fänden nicht mehr statt.
Nicht in der Apotheke impfen
Van Aken und Gehle sprachen sich dagegen aus, Apotheker in die Corona-Impfungen einzubeziehen. „Ich halte das nicht für nötig, weil die Impfzentren und die niedergelassenen Ärzte die Schlagzahl erhöhen könnten“, sagte der Kammerpräsident.
Auch die Krankenhäuser seien bereit zu impfen. „Was fehlt, ist der Impfstoff.“ Impfen sei eine ärztliche Handlung, betonte Van Aken. Man müsse für den Fall gewappnet sein, dass heftige Reaktionen wie ein anaphylaktischer Schock auftreten. „Impfen in der Apotheke ist für mich eigentlich ein No-Go.“