Ansteckungsgefahr

Fast jeder zweite SARS-CoV-2-Infizierte symptomlos?

Asymptomatische Infizierte könnten einen wesentlichen Einfluss auf das Infektionsgeschehen der Corona-Pandemie haben. Forscher plädieren daher dafür, die Testprogramme weltweit auszuweiten.

Anne BäurleVon Anne Bäurle Veröffentlicht:
Infektionsgefahr, wenn Menschen zusammenkommen, wie hier in einem Freizeitpark: Sind darunter auch Patienten mit SARS-CoV-2, die keine Symptome zeigen?

Infektionsgefahr, wenn Menschen zusammenkommen, wie hier in einem Freizeitpark: Sind darunter auch Patienten mit SARS-CoV-2, die keine Symptome zeigen?

© dpa

La Jolla/Genf. Eine Ursache für die schnelle Ausbreitung von SARS-CoV-2 könnten Infizierte sein, die asymptomatisch bleiben. So halten es Forscher um Dr. Daniel Oran von Scripps Research Translational Institut in La Jolla, Kalifornien, für wahrscheinlich, dass 40 bis 45 Prozent der mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen keine Symptome entwickeln (Ann Intern Med 2020; online 3.Juni).

Damit widersprechen die Ergebnisse der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Dr. Maria van Kerkhove, Leiterin des Notfallprogramms der WHO, hatte Anfang der Woche berichtet, die Übertragung von SARS-CoV-2 durch asymptomatische Patienten sei „äußerst selten“. Denn bei genauerer Nachfrage berichteten viele Patienten dann doch von sehr milden oder ungewöhnlichen Symptomen, etwa vom Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, der ja zunächst nicht mit einer Atemwegsinfektion in Zusammenhang gebracht wurde.

Inzwischen hat die WHO ihren Bericht allerdings wieder korrigiert und spricht nun davon, eine Übertragung des neuen Coronavirus durch asymptomatische Infizierte sei keineswegs „selten“. So gebe es Studien, denen zufolge der Anteil der Asymptomatischen an der Gesamtheit der SARS-CoV-2-Infizierten zwischen 6 und 40 Prozent liege.

Unterschiedliche Settings analysiert

Welche Rolle asymptomatische Infizierte nun tatsächlich bei der Corona-Pandemie spielen, ist unklar. Hinweise darauf hat aber das US-Forscherteam um Oran zusammengetragen. Dabei handele sich aber nur um „Momentaufnahmen“ und keine Ergebnisse aus randomisierten Studien, wie die Forscher betonen.

Sie haben für eine „narrative“ Übersichtsarbeit Daten von 16 Patienten-Kohorten aus der ganzen Welt gesammelt, und zwar zum Infektionsgeschehen in ganz unterschiedlichen Settings: Auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ etwa infizierte sich fast jeder fünfte der 3711 Passagiere – und fast 50 Prozent der positiv Getesteten hatten keinerlei Symptome (Morb Mortal Wkly 2020; 69: 347-352).

Was Ärzte bei diesen Passagieren allerdings auch feststellten: Das Fehlen von Symptomen bedeutet nicht unbedingt, dass die Patienten keine Schäden davontragen. Denn CT-Scans der Infizierten ohne Symptome zeigten subklinische Lungenanomalien, und zwar Trübungen, die in ähnlicher Weise auch bei schweren COVID-19-Verläufen nachgewiesen wurden.

Ähnliche Viruslast

In einer weiteren Kohorte wurden nach mehreren Corona-Fällen Bewohner einer Obdachlosenunterkunft in Boston auf SARS-CoV-2 getestet. Von 147 Bewohnern mit positiven Nachweis waren ganze 88 Prozent asymptomatisch. Ähnliches ergab ein Bericht über ein Obdachlosenheim in Los Angeles: Hier zeigten 64 Prozent der positiv Getesteten keinerlei COVID-19-Symptome.

Die „Diamond Princess“: Auf dem Kreuzfahrtschiff infizierte sich fast jeder fünfte Passagier – fast die Hälfte der positiv Getesteten hatten keinerlei Symptome.

Die „Diamond Princess“: Auf dem Kreuzfahrtschiff infizierte sich fast jeder fünfte Passagier – fast die Hälfte der positiv Getesteten hatten keinerlei Symptome.

© Jiji Press / dpa

Die Forscher schließen daraus, dass gerade in vulnerablen Risikogruppen, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, durch ein Screening ausschließlich auf Symptome eine beträchtliche Anzahl der Corona-Infizierten übersehen würden und das Virus unbemerkt weiterverbreiten könnten.

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Eine weitere Kohorte zeigte, dass auch bei der Symptomkontrolle an Flughäfen viele SARS-CoV-2-Infizierte durch das Raster fallen: Bei Rückführungen von 783 griechischen Staatsbürgern wurden fünf Prozent positiv getestet – zum Zeitpunkt des Virusnachweises waren allerdings 98 Prozent asymptomatisch, also zu einem frühen Zeitpunkt der Infektion, wenn die Viruslast bei vielen Patienten am höchsten ist. Selbst bei einem Follow-up-Test zwei Wochen nach dem ersten Test auf SARS-CoV-2 waren noch 88 Prozent der positiv Getesteten symptomlos.

Einen weiteren Beleg für ihre These sehen Oran und Kollegen in Berichten, denen zufolge die Viruslast der asymptomatischen Personen in einigen Fällen der von Patienten mit Symptomen entsprach, was auf ein ähnliches Potenzial für die Virusübertragung hinweise (NEJM 2020; 382:1177-1179).

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Eindringlich plädieren die Forscher daher, die Testprogramme zu erweitern, um auch asymptomatisch Infizierte zu erkennen. Nur so könne eine unbemerkte Ausbreitung verhindert werden. Um zwischen asymptomatischen und präsymptomatischen Fällen zu unterscheiden, sollten zudem Längsschnittdaten über einen ausreichend langen Zeitraum gesammelt werden.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 12.06.202008:47 Uhr

Jetzt gibt es also zwischen naivem Empirismus ("ich bin gegen einen gelben Post-Briefkasten gelaufen, also machen alle Post-Briefkästen Prellungen und immer ist an solchen Vorgängen die Farbe Gelb beteiligt"), randomisierten kontrollierten Studien, retrospektiven und selten prospektiven Observations-Studien, case-control-studies, Kohortenstudien und massenweisen Metaanalysen auch noch die "narrative Übersichtsarbeit", mit der hier z.B. Daten von 16 Patienten-Kohorten aus der ganzen Welt gesammelt wurden, um das Infektionsgeschehen von SARS-CoV-2-Infizierten und COVID-19-Erkrankten in ganz unterschiedlichen Settings zu analysieren. "Prevalence of Asymptomatic SARS-CoV-2 Infection - A Narrative Review" von Daniel P. Oran und Eric J. Topol.
https://doi.org/10.7326/M20-3012

Im relativ naiv formulierten Abstract finden sich äußerst vage gehaltene Sätze wie: "The authors sought to review and synthesize the available evidence on asymptomatic SARS-CoV-2 infection"..." To supplement conventional diagnostic testing, which is constrained by capacity, cost, and its one-off nature, innovative tactics for public health surveillance, such as crowdsourcing digital wearable data and monitoring sewage sludge, might be helpful." Doch verfügbare Evidenz, logistisch-infektiologische Testbeschränkungen und "crowdsourcing" digitaler, am Körper zu tragender Daten (damit ist eine in demokratisch-freiheitlichen Ländern gar nicht funktionierende Corona-App gemeint) bzw. "sewage sludge"-, also
Klärschlamm-Monitoring als Quintessenz zu formulieren, ist wissenschafts- und erkenntnistheoretisch ein völlig implausibles Narrativ.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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