Ortsbesuch
Glückstädter nehmen das Warten auf die ersehnte Corona-Impfung gelassen
Mobile Corona-Impfteams fahren in Schleswig-Holstein seit dem 10. Juni ausgewählte Quartiere in Städten und Gemeinden an. Glückstadt-Nord war eines der ersten dieser Viertel – ein Ortsbesuch.
Veröffentlicht:Glückstadt. Marion Bohlmann ist wegen einer Erkrankung Prioritätsgruppe 2, mit einem Corona-Impftermin aber hatte sie bislang kein Glück. In zwei Arztpraxen stand sie auf der Warteliste und über die zentrale landesweite Hotline hatte sie es mehrfach versucht – ohne Erfolg.
Grund genug für sie, sich bei einem Impfangebot ohne Termin für den Stadtteil Glückstadt-Nord ganz früh auf den Weg zu machen. Um 7.30 Uhr ist sie die erste, die sich vor den Räumen der Diakonie anstellt, damit sie an diesem Tag die ersehnte Impfung gegen Corona erhält.
Die frühere MFA wohnt in einem Stadtteil mit vielen Wohnblocks, zum Teil in beengten Behältnissen. Menschen, die hier wohnen, haben in aller Regel kein Homeoffice – weil der Platz nicht reicht oder die Arbeit es nicht zulässt. Solche Viertel gibt es in den Städten Kiel, Neumünster, Lübeck und Flensburg, aber auch in der Provinz.
Genau diese Viertel sollen mit einer gemeinsamen Initiative des Städteverbands und der Landesregierung erreicht werden. Für die sogenannten „Quartiersimpfungen“ haben Kommunen und kreisfreie Städte Viertel benannt, die seit dem 10. Juni von mobilen Impfteams, von der KV gesteuert, angefahren werden – laut Landesregierung insgesamt 50.
Einige Kommunen sind zögerlich
Manche Kommunen zeigen sich zum Start reserviert und wollen erst nach einer Anlaufphase in die Öffentlichkeit. Sie befürchten, dass sonst Menschen aus anderen Regionen kommen und diejenigen, für die dieses Angebot gedacht ist, nicht zum Zuge kommen.
Die 12.000-Einwohner-Stadt Glückstadt dagegen geht gelassen und transparent mit der Aktion um – genauso wie die Menschen, die sich hier früh morgens anstellen und dann wegen einiger noch zu lösender organisatorischer Fragen zunächst einmal lange warten müssen.
Dabei haben viele von ihnen Grund, die Impfung herbei zu sehnen. Renate Harbecke etwa sitzt seit Stunden geduldig in der prallen Sonne, ohne ihre gute Laune zu verlieren. Sie hat Familienmitglieder mitgebracht, viele von ihnen haben chronische Erkrankungen wie MS, Diabetes und Morbus Crohn, die 60-jährige Renate Harbecke selbst hat Krebs.
„Wir halten uns selbstverständlich an alle Regeln. Aber jetzt ist es Zeit, dass wir geimpft werden“, sagt Harbecke. Verständlich wäre ein „endlich“, aber das benutzt sie nicht.
So wie Harbecke und Bohlmann warten die Menschen in einer Schlange, die schnell auf fast 100 anwächst. Ihre Geduld und entspannte Haltung passt so gar nicht zu den Meldungen über die aggressiven Menschen, die ihrer Enttäuschung über ausbleibende Impftermine Luft in Arztpraxen verschaffen.
In den Räumen der Diakonie organisiert derweil ein eingespieltes Impfteam die Abläufe. Arzt Florent Ismani und Pflegedienstleiterin Lisa Kliemann haben schon bei mobilen Impfungen in den Pflegeheimen zusammengearbeitet, ihnen steht heute Krankenschwester Heike Eickhoff-Jasper aus dem Impfzentrum in Itzehoe zur Seite.
Die drei wissen, worauf es ankommt: Erst müssen die Abläufe in den Räumen durchgesprochen sein, damit es anschließend sicher und schnell gehen kann. Weil es Ismani doch etwas zu beengt zugeht, wird kurzerhand ein angrenzender Raum – eigentlich eine kleine Gaststätte – desinfiziert und für die Impfungen hergerichtet.
Die Glückstädter schaffen auch das: Ordnungsamt, Feuerwehr, Menschen aus der Verwaltung und der Security arbeiten Hand in Hand für die auf eine Woche angesetzten Impfungen. Täglich, auch am Wochenende, wird in Glückstadt geimpft, um möglichst viele der 3000 Menschen im Stadtteil Nord zu erreichen. Als die doch schon etwas erschöpfte Marion Bohlmann nach vier Stunden Wartezeit die erste Impfung erhält, spürt man in der Warteschlange die Erleichterung: Es geht voran.
Panische Angst vor der Spritze
Jeder hat hier seine eigene Geschichte: Etwa die Frau, die ständig von ihrem schon geimpften Partner in den Arm genommen werden muss, weil sie eine panische Angst vor der Spritze hat. „Es ist nicht die Impfung – die will ich. Aber die Spritze …“ Ismani kennt solche Momente.
Er nimmt die Ängste der Impfwilligen ernst, fragt nach den Gründen, verweist ruhig auf den kaum zu spürenden Impfvorgang und schafft es ohne Probleme, dass auch diese Frau sich impfen lässt – und die hinterher spürbar erleichtert und froh ist.
Bei den Aufklärungen erwarten Ismani keine Fragen, die ihm noch nicht gestellt wurden: „Wie gefährlich ist das, kann ich danach noch Kinder bekommen, wann bekomme ich die zweite Impfung und muss das jetzt jedes Jahr sein“ – klassische Fragen, die jedes Impfteam kennt. Nachdem das Team gestartet ist, läuft es in Glückstadt, die Warteschlange wird abgearbeitet. Die Stadt hofft, dass der Andrang auch in den kommenden Tagen anhält.
Über die sozialen Medien sollen die Menschen immer wieder erinnert werden. Eine der Herausforderungen wird jeden Tag sein, den Impfstoff auf die Nachfrage abzustimmen. Parallel zu den Quartiersimpfungen startet das Land Schleswig-Holstein in den Impfzentren Lübeck, Neumünster und Husum am 11. Juni Sonderimpfaktionen ohne Impftermine für jedermann. Zu diesen Sonderaktionen wird der Impfstoff von AstraZeneca verimpft, in Glückstadt ist es der von BioNTech/Pfizer.