Totgesagte leben länger

Hydroxychloroquin-Studien werden fortgesetzt

Mit Beobachtungsstudien allein lassen sich Wirksamkeit und Sicherheit von Hydroxychloroquin gegen COVID-19 nicht beurteilen. WHO und viele Forscher wollen Evidenz schaffen.

Von Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Hoher politischer und medialer Druck: Die Debatte über Studiendaten zu Hydroxychloroquin ist aufgeheizt.

Hoher politischer und medialer Druck: Die Debatte über Studiendaten zu Hydroxychloroquin ist aufgeheizt.

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Genf/Tübingen. Vergangene Woche hatte eine hochrangig im Fachblatt „The Lancet“ veröffentlichte Beobachtungsstudie zur Therapie von COVID-19-Patienten mit Hydroxychloroquin oder Chloroquin (zum Teil in Kombination mit einem Makrolid-Antibiotikum) für Aufsehen gesorgt.

In der Datenanalyse von weltweit 96.000 Betroffenen gab es keine Hinweise auf einen Nutzen der Therapie mit den Malariamitteln und zudem wurden Zweifel an der Sicherheit der Behandlung genährt.

Kritik an der Lancet-Studie

In Folge hatte die WHO ihre Tests zu Hydroxychloroquin in einem Arm der SOLIDARITY-Studie bei Patienten mit COVID-19 ausgesetzt. Auch Studien in Deutschland zu dem Medikament wurden unterbrochen.

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Inzwischen haben Wissenschaftler aber wiederum ernsthafte Zweifel an den Daten der Lancet-Studie erhoben. Das Journal hat deshalb am Dienstag eine sogenannte „Expression of Concern“ veröffentlicht. Dort weisen die Redakteure des Fachblatts darauf hin, dass sie die Publikation erneut prüfen müssten und dass die Studienergebnisse nur unter Vorbehalt betrachtet werden sollten.

Hinzukommt, dass die WHO bisher offenbar in SOLIDARITY keine Signale für Sicherheitsbedenken bei Hydroxychloroquin gefunden hat. Das „Data Safety Monitoring Board“ sehe keinen Grund, die Tests mit dem Mittel weiter zu unterbrechen, wird WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus von Nachrichtendiensten zitiert.

Die Studienleitung sei darüber informiert worden und habe eine Weiterführung aller Studienarme von SOLIDARITY gebilligt einschließlich der Tests zu Hydroxychloroquin.

Studie war ausgesetzt

Professor Peter Kremsner aus Tübingen bestätigte im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ die WHO-Entscheidung zu SOLIDARITY. Der Tropenmediziner hatte wegen politischen und medialen Drucks vergangene Woche ebenfalls die von ihm koordinierten beiden Studien zu Hydroxychloroquin bei COVID-19 unterbrochen.

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An den beiden Studien sollen rund 3000 COVID-19-Patienten teilnehmen – 220 in stationärer Therapie und 2700 ambulant behandelte und damit weniger schwer Erkrankte. „Bisher hat das Sicherheitskomitee in beiden Studien keine bedenklichen Signale festgestellt“, sagte Kremsner.

Er will sich jetzt mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Vertretern der Weltgesundheitsorganisation und der Ethikkommission beraten und hofft, die Studien weiterführen zu können.

Keine belastbare Evidenz

Kremsner betont, dass es immer noch keine belastbare Evidenz aus kontrollierten randomisierten Studien zu Wirksamkeit und Sicherheit von Hydroxychloroquin bei COVID-19 gibt. Er selbst hält das Mittel weiterhin für eine mögliche Option: Es sei aber weder „Wundermittel noch Teufelszeug.“

„Wir halten uns strikt an die Regeln, bei welchen Patienten das Medikament eingesetzt werden darf und schließen Patienten mit beispielsweise Herzerkrankungen aus“, versichert Kremsner. Dass das Medikament lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen kann und daher für Herzkranke ungeeignet ist, sei bekannt, so der Tropenmediziner.

Probleme bei der Rekrutierung

Sowohl bei den deutschen Studien als auch bei kontrollierten Studien mit ähnlichem Ansatz in den Niederlanden und Finnland gibt es mittlerweile große Probleme bei der Rekrutierung von Patienten: „In Tübingen werden zum Beispiel momentan null bis ein Neuerkrankter pro Tag diagnostiziert“. Diese erfreuliche Entwicklung bremse den Fortgang der Untersuchungen. Kremsner hofft, in naher Zukunft wenigstens eine Interimsanalyse vorlegen zu können.

„In der Diskussion muss man sich wieder auf wissenschaftliche und medizinische Werte besinnen und nicht weiter überhitzt über halb gare oder auch ungeprüfte Daten diskutieren und spekulieren“, betont Kremsner.

Eine Abkühlung der Debatte sei nötig, damit die Wissenschaft nicht in Verruf kommt und „wir Dinge ordentlich untersuchen können“.

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