Niedersachsen
Nicht nur auf dem Land: Hausarztmangel erreicht eine Großstadt
Wenn von Hausarztmangel gesprochen wird, denken viele an ländliche Regionen. In Niedersachsen hat es nun die Stadt Salzgitter erwischt. Unter anderem Investitionskostenzuschüsse sollen den Nachwuchs überzeugen.
Veröffentlicht:Salzgitter. Der Hausärztemangel erreicht in Niedersachsen nach Angaben der KV des Landes erstmals eine Großstadt. Die Industriestadt Salzgitter mit mehr als 100.000 Einwohnern im Südosten Niedersachsens hat seit geraumer Zeit die Probleme der Provinz: drohende Unterversorgung bei der hausärztlichen Versorgung. Die schwierige Lage hat die KV Niedersachsen (KVN) bewogen, erstmals Investitionskostenzuschüsse und Umsatzgarantien für zwei Hausärztinnen oder Hausärzte in einer Großstadt auszuloben. Die Stadt Salzgitter arbeitet unterdessen an einem Hausärztekonzept, sieht eigene Unterstützungsmaßnahmen aber mit Skepsis.
Derzeit sind 17 Hausarztpraxen der Stadt unbesetzt. Der Versorgungsgrad liegt laut KVN bei 79,3 Prozent. Ab 75 Prozent gilt eine Region als unterversorgt. Nur in fünf der insgesamt 104 niedersächsischen Planungsbereiche sind die Versorgungsgrade schlechter, schreibt die KVN. Das Durchschnittsalter der Hausärzte in Salzgitter liegt bei 58 Jahren.
„Grauer Charme“ schätzt nicht jeder
Hausarzt Dr. Stefan Voges aus Salzgitter-Bad ist denn auch pessimistisch, was den Nachwuchs angeht. Voges hat anderthalb Jahre lang ohne Erfolg nach einem Nachfolger gesucht und dann im vergangenen Jahr seine Praxis geschlossen. 34 Jahre lang war der 67-Jährige in Salzgitter Hausarzt. Aber Keine Nachfolgerin, kein Nachfolger mochte nach Salzgitter kommen. „Es gibt noch eine Menge Kollegen hier, die eigentlich dichtmachen wollen aber trotzdem weitermachen“, sagt Voges.
Gewiss, die Stadt sei eine Industriestadt, geprägt vom Stahlkocher Salzgitter AG, von Bosch oder MAN, berichtet der Hausarzt. Und der Ruf der Stadt sei nicht der beste – zu Unrecht, wie Voges betont. Stefan Hofmann, Geschäftsführer der KVN-Bezirksstelle in Braunschweig, spricht vom „grauen Charme“ der Stadt.
Geld alleine keine Triebfeder
Nun steuert die KVN gegen und bietet Hausärztinnen oder Hausärzten, die sich in Salzgitter niederlassen wollen, einen Investitionskostenzuschuss von bis zu 50.000 Euro. „Geld ist für die jungen Ärztinnen und Ärzte zwar ein Kriterium, aber keine Triebfeder“, ordnet Hofmann den Nutzen der KV-Zuschüsse ein. Manche jungen Ärzte wissen den grauen Charme samt Zuschuss offenbar zu schätzen. Kürzlich habe sich ein junger Hausarzt zur Niederlassung in Salzgitter entschlossen, berichtet Hofmann.
Zugleich habe die KVN der Stadt Salzgitter mehrfach angeboten, gemeinsame Konzepte zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung zu entwickeln, schreibt die KV. Salzgitters Gesundheitsdezernent, Dr. Dirk Härdrich, reagiert zurückhaltend auf die Avancen der KVN und verweist auf den Sicherstellungsauftrag. „Grundsätzlich ist es rechtlich die Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, die Versorgung mit hausärztlichen Leistungen sicherzustellen“, so Härdrich auf Nachfrage.
Einfach zu wenig Mediziner ausgebildet
Dennoch habe der Rat der Stadt Salzgitter die Verwaltung beauftragt, ein Hausärztekonzept zu erarbeiten. „Natürlich wird es dabei um die Frage gehen, welche Unterstützungsmaßnahmen denkbar sind und welchen Umfang z.B. räumliche oder materielle Unterstützungen für bestehende oder neue Hausarztpraxen haben könnten“, schreibt Härdrich. Es gehe um Akquise von Räumlichkeiten, um Unterstützung bei der Gründung oder Stipendien.
„Allerdings ist eine Anwerbekonkurrenz unter den Kommunen auf Dauer auch keine Lösung, weil das genau jene Kommunen benachteiligt, die aufgrund ihrer Gesamtsituation schon jetzt Schwierigkeiten haben, Ärztinnen und Ärzte anzuwerben“, so Härdrich. Er setzt dagegen auf die Landarztquote und mehr Studienplätze.
Hausarzt Voges meint, man habe in den letzten zehn, 15 Jahren versäumt, mehr Ärzte auszubilden. Die Situation in Salzgitter werde angespannt bleiben, sagt Voges: „Man kann sich die Doktors eben nicht backen.“