Psychotherapeut rät

"Ärzte müssen sich interkulturelle Kompetenzen aneignen!"

Psychotherapeut Hassan El Khomri hat selbst einen arabischen Hintergrund - das hilft ihm bei der Behandlung traumatisierter Flüchtlinge. Warum interkulturelle Kompetenz dabei so wichtig ist, schildert er im Interview mit der "Ärzte Zeitung".

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Seenot, Gewalt, Unsicherheit: Die Erlebnisse von Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Deutschland sind oftmals traumatisch.

Seenot, Gewalt, Unsicherheit: Die Erlebnisse von Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Deutschland sind oftmals traumatisch.

© Tasos Markou / dpa

Ärzte Zeitung: Herr El Khomri, wie kam bei Ihnen als Psychotherapeut und Geschäftsführer der Gesellschaft für Gesundheitsberatung die Idee auf, Flüchtlinge ehrenamtlich zu behandeln?

Hassan El Khomri: Ich komme ursprünglich aus Marokko und spreche arabisch. Vor rund drei Monaten ist daher eine Frau, die in der Versorgung der Flüchtlinge hier in Lahnstein aktiv ist, auf mich zugekommen und hat angefragt, ob ich bereit wäre, einige Flüchtlinge diagnostisch zu betreuen.

Das war für mich überhaupt keine Frage. Die Bezahlung, die mir dafür angeboten wurde, habe ich abgelehnt. Ich wollte die Betreuung ehrenamtlich übernehmen.

Wie genau sieht Ihr Einsatz heute aus?

Hassan El Khomri

'Ärzte müssen sich interkulturelle Kompetenzen aneignen!'

© sbra

Hassan El Khomri ist psychologischer Psychotherapeut und Geschäftsführer der Gesellschaft für Gesundheitsberatung (GGB) im rheinland-pfälzischen Lahnstein.

Der gebürtige Marokkaner engagiert sich ehrenamtlich in der psychotherapeutischen Betreuung von Flüchtlingen.

Die GGB stellt darüber hinaus ihre Räumlichkeiten in Lahnstein für Deutschkurse zur Verfügung; etwa einmal pro Woche kommen Flüchtlinge mit ihren Betreuern und externen Lehrern in das Gesundheitszentrum.

Seit 1978 ist die GGB im Sinne einer ganzheitlichen Gesundheitsaufklärung als gemeinnütziger Verein tätig.

El Khomri: Seither kommen regelmäßig Flüchtlinge zur psychotherapeutischen Diagnose in unser Gesundheitszentrum. Bei der Mehrzahl - die meisten kommen aus Syrien, Eritrea und Somalia - geht es um die diagnostische Klärung: Worunter leiden die Menschen?

Ist eine Behandlung nötig? Danach haben sie die Wahl, ob sie weiter in die Therapie kommen oder nicht. Aktuell sehe ich zwei Flüchtlinge aus Syrien, sie kommen einmal pro Woche.

Was ist aus den anderen Patienten geworden?

El Khomri: Viele Flüchtlinge entscheiden sich nach zwei bis drei Sitzungen, dass sie die Therapie erst zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen wollen.

Das Stellen des Asylantrags und die damit verbundene Bürokratie stellt für viele eine große Herausforderung dar, für viele ist auch die Unsicherheit nach der Ankunft und die Frage der Zukunft sehr belastend. Sie sind angesichts dieser Unsicherheit noch nicht in der Lage, das Erlebte aufzuarbeiten.

Inwiefern ist das problematisch?

El Khomri: Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Insbesondere in akuten Fällen, wenn Flüchtlinge womöglich suizidal sind, ist die sofortige Therapie natürlich nötig.

Viele sind aber trotz einer Depression noch sehr aktiv in die erwähnten neuen Belastungen eingebunden, dann kommen die Traumata oft erst nach einem Zur-Ruhe-Kommen ans Tageslicht. Dann müssen diese jedoch therapiert werden.

Was sind die häufigsten Krankheitsbilder, die Ihnen in der Flüchtlingsversorgung begegnen?

El Khomri: Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind mit Abstand die häufigsten Krankheitsbilder. Oft treten diese auch zusammen auf: Viele, die lange unterwegs waren, haben aufgrund der Erlebnisse auf der Flucht eine PTBS, die dann auch eine Depression nach sich zieht. Das erschwert die Behandlung zusätzlich.

Welche Herausforderungen ergeben sich für Sie als Psychotherapeut?

El Khomri: Da ich aufgrund meines Hintergrunds vor allem arabisch sprechende Flüchtlinge behandle, habe ich glücklicherweise keine Sprachbarriere zu überbrücken. Auch kenne ich die Kultur, was ein großer Vorteil ist.

Gerade Flüchtlinge aus dem arabischen Raum kennen das Konzept der Psychotherapie gar nicht, sie behalten alles für sich und schämen sich, offen über das Erlebte zu sprechen.

Ich habe das Glück und weiß, wie ich fragen muss, um auch über intime Themen sprechen zu können, ohne dass es meinen Patienten unangenehm ist. Interkulturelle Kompetenz ist in der Versorgung der Flüchtlinge unverzichtbar.

Wie können Ärzte diese interkulturelle Kompetenz erlernen?

El Khomri: Ärzte, die in die Versorgung der Flüchtlinge eingebettet sind, müssen sich diese interkulturelle Kompetenz auf jeden Fall aneignen. Das kann mit Lektüre oder Kursen passieren; der beste Weg ist aber oftmals, einen Landsmann einzubinden.

Dieser kann in der Behandlung übersetzen und so bei der Kommunikation helfen; darüber hinaus kann er dem Arzt aber auch wichtige Einblicke in die fremde Kultur geben und sagen, wo besonderes Fingerspitzengefühl nötig ist und wie am besten vorzugehen ist.

Darüber hinaus brauchen ärztliche Kollegen in der Versorgung von Flüchtlingen aber vor allem Geduld. Denn eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, braucht Zeit.

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