Flüchtlinge

Psychotherapie bleibt Ausnahme

Die Bundespsychotherapeutenkammer schlägt Alarm: Trotz harter Schicksale erhalten die Flüchtlinge kaum eine psychotherapeutische Behandlung. Ihre Forderung: Privatpraxen sollen helfen dürfen.

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BERLIN. Hunderttausende der nach Deutschland flüchtenden Menschen sind schwer traumatisiert. Eine angemessene psychotherapeutische Behandlung erhalten jedoch nur etwa vier Prozent der Betroffenen.

Darauf hat die Bundespsychotherapeutenkammer (BPTK) am Mittwoch hingewiesen.

Ärzte und Sachbearbeiter in den Aufnahmestellen beurteilten die Notwendigkeit von psychotherapeutischen Behandlungen oft falsch.

Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) schlage viel zu häufig Tranquilizer als Mittel der Wahl vor. "Als alleinige Maßnahme ist dies aus medizinischer Sicht nicht zu verantworten", sagte BPTK-Präsident Dr. Dietrich Munz.

Rund die Hälfte der Flüchtlinge, vor allem derjenigen aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak und Afghanistan, sei psychisch krank, betonte Munz. Der Behandlungsbedarf ist enorm. 40.000 bis 80.000 Menschen, schätzt die Kammer, würden eine Therapie in Anspruch nehmen.

Jährlich 3500 bis 4000 Betroffene in Behandlung

Der Weg dorthin ist steinig. "In den Behandlungszenten in Deutschland werden pro Jahr nur 3500 bis 4000 Betroffene behandelt", sagte Mechthild Wenk-Ansohn, Leiterin der ambulanten Abteilung des Behandlungszentrums für Folteropfer Berlin.

Das Behandlungszentrum ist eines von 23 psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer in Deutschland. Dort stehen gerade einmal 130 Psychotherapeuten zur Versorgung der kranken Menschen bereit.

Die BPTK fordert daher die Zulassungsausschüsse in den Ländern auf, die Psychotherapeuten in den Flüchtlingszentren und psychotherapeutischen Privatpraxen zu ermächtigen, vorübergehend an der kassenärztlichen Versorgung der Flüchtlinge teilzunehmen.

Die Rückmeldungen aus den KVen und der Kassen, die die Zulassungsausschüsse besetzen, seien bislang ausweichend, berichtete Munz. Das Bundesgesundheitsministerium solle klarstellen, dass ein solches Vorgehen nach der geltenden Gesetzeslage möglich sei, sagte Munz.

Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz sollten zudem für ausreichende Kapazitäten von Dolmetscherleistungen und für die interkulturelle Qualifizierung der Sprachmittler sorgen.

Grüne: Zeitnahe angemessene Behandlung

Unterstützung erhielt Munz aus der Politik. "Hermann Gröhe darf sich aus parteipolitischen Gründen nicht länger vor seiner humanitären Pflicht drücken, schwer traumatisierten und psychisch kranken Menschen zeitnah eine angemessene Behandlung zu ermöglichen", forderte Maria Klein-Schmeink von der Fraktion der Grünen.

Hintergrund des Vorstoßes der Kammer ist die geltende Regel, dass Flüchtlinge erst nach 15 Monaten Leistungen der Kassen in Anspruch nehmen können. Bis dahin fallen sie unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Das führe dazu, dass in diesem Zeitraum nur die wenigsten Zugang zu Behandlungen hätten. Grund sei die Inkompetenz der Entscheider, Behandlungsbedarf zu erkennen.

Fragen der Versorgung minderjähriger Flüchtlinge sind dringend. Das zeigen auch Zahlen der Jugendämter: Immer mehr junge Flüchtlinge kommen demnach alleine nach Deutschland.

Bereits im vergangenen Jahr seien 11.600 Kinder und Jugendliche ohne Verwandte eingereist - 77 Prozent mehr als im Jahr zuvor und sechsmal mehr als 2009, hat das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitgeteilt. (af, jk, mit Informationen von dpa)

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