Nicht nur an Silvester

Beleidigungen, Beschimpfungen, Böllerbeschuss: Einsatzkräfte leiden unter Gewalt

Nicht nur an Silvester werden Einsatzkräfte beschimpft und beleidigt. Gewalt gegen Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienste ist mittlerweile offenbar „in“, wie eine Umfrage des Deutschen Feuerwehrverbandes zeigt.

Veröffentlicht:
Silvesterböller gegen Einsatzkräfte: Das erleben Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst nicht unbedingt nur an Silvester.

Silvesterböller gegen Einsatzkräfte: Das erleben Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst nicht unbedingt nur an Silvester.

© Andreas Lander / ZB / picture-alliance

Berlin. Gewalt gegen Einsatzkräfte ist kein Einzelfall und auch kein Silvesterphänomen. Das betonte der Deutsche Feuerwehrverband am Donnerstag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Als Beleg dient ihm eine Umfrage, die er 2023 unter Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehren zu den Erfahrungen in den vergangenen zwei Jahren durchführte. Aktuelle Berichte aus den Hochwassergebieten in Deutschland scheinen die bitteren Erfahrungen zu bestätigen.

Seit Heiligabend seien viele Feuerwehren wegen steigender Wasserpegel ununterbrochen im Einsatz, berichtete Karl-Heinz Banse, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes. Dabei schlage ihnen nicht immer Dankbarkeit entgegen. Stattdessen müssten die Feuerwehrleute mit Anwohnern diskutieren, Beleidigungen einstecken. Sogar Sandsäcke würden von Dämmen und Deichen gestohlen. Schaulustige behinderten die Einsatzkräfte.

Jeder zweite Feuerwehrler hat Erfahrungen mit Gewalt

Solche demotivierenden Erfahrungen machten die Feuerwehren aber nicht nur während extremer Ereignisse wie Hochwasser oder zu Silvester. Sie begegneten den Einsatzkräften inzwischen häufig in Alltagssituationen, etwa wenn eine Straße wegen eines Unfalls gesperrt werden muss und Autofahrer sich laut Banse „in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt“ sehen.

Nach der Umfrage des Deutschen Feuerwehrverbandes haben knapp über 50 Prozent der Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren schon Gewalt „in jeder Form“ erlebt. Am häufigsten wurden sie beschimpft und beleidigt. Danach folgen im Ranking die Behinderung der Arbeit. 14 Prozent mussten schon die Erfahrung machen, mit Raketen beschossen oder Böllern beworfen zu werden - und das nicht nur an Silvester, wie Thomas Wittschurky, Leiter des Fachausschusses Sozialwesen im Deutschen Feuerwehrverband, sagte. 80 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, die allgemeine Respektlosigkeit und mangelnde Wertschätzung als schlimm und belastend zu empfinden.

Alkohol ist meistens nicht der Auslöser

Die Umfrage zeige, dass Gewalt gegen Einsatzkräfte oft nicht einer Gruppendynamik folge, sondern Einzeltätern zuzuschreiben sei. Alkohol spiele dabei - entgegen häufigen Annahmen - meist keine Rolle. Es sei gerade „in“, Einsatzkräfte zu attackieren, sagte Feuerwehrpräsident Banse. Gewalt gegen Feuerwehren, Polizisten oder Rettungsdienste habe es schon immer gegeben, neu sei aber die Qualität und Menge. Die Attacken würden durch die sozialen Medien verstärkt.

Nicht nur Banse, sondern auch Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, forderten Bund, Länder und Kommunen auf, die Sicherheit der Einsatzkräfte zu gewährleisten und Übergriffe zu ahnden. „Wir müssen Solidarität mit Einsatzkräften zeigen“, so Hussy. Aggressives Verhalten behindere nicht nur bei den Hilfeleistungen, sondern demotiviere auch. „Das schadet der ganzen Gesellschaft. Man riskiert, dass am Ende niemand mehr da ist, der hilft.“

Böllerverbot schwer durchsetzbar

Die Forderung nach umfassenden Böllerverboten während der Silvesternacht bewertete Karl-Heinz Banse zurückhaltend. Ein solches Verbot wäre nur sehr schwer durchsetzbar, die Polizei dadurch stark überlastet. Banse plädierte dafür, das Abbrennen von Feuerwerk nur an zentralen Stellen zu genehmigen.

Am Donnerstag appellierte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) an die Bevölkerung, verantwortungsvoll mit Feuerwerk umzugehen. Böllerverletzungen führten die Krankenhäuser in der Silvesternacht regelmäßig an den Rand des Ausnahmezustands, sagte Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß mit Blick auf die Codierung der ICD W49.9, die Verletzungen beschreibt, die unter anderem typisch nach Unfällen mit Feuerwerk sind.

2022 seien im Durchschnitt täglich knapp 26 Fälle mit der ICD W49.9 codiert worden. Am Neujahrstag 2023 schnellte die Fallzahl laut DKG „drastisch nach oben“: „Allein am 1. Januar 2023 wurden 117 neu aufgenommene Fälle mit der ICD W49.9 gezählt“, heißt es in einer Mitteilung. (juk)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Roboter, der Akten wälzt? Künstliche Intelligenz kann bereits mit Leitlinien umgehen – jedenfalls wenn sie so gut strukturiert sind wie die der DEGAM.

© Iaroslav / stock.adobe.com

Digitalisierung in der Medizin

Kollegin Dr. ChatGPT? Wie Künstliche Intelligenz Ärzten helfen könnte

Digital und innovativ: Klinikum Siegen überzeugt von Fluency Direct

© Solventum Germany GmbH

Solventum Spracherkennung

Digital und innovativ: Klinikum Siegen überzeugt von Fluency Direct

Anzeige | 3M Healthcare Germany GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Schnelle Kommunikation, aber sicher: Das hilft Teams unterschiedlicher Einrichtungen bei der effizienten Zusammenarbeit.

© [M] Famedly

Neues Kooperationswerkzeug im Netz

Effiziente Kommunikation: Der schnelle Draht von Team zu Team

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Gute Nachrichten des Jahres 2024

Positiver Jahresrückblick: Lauterbachs Krankenhaus-Operation

Lesetipps
Ein Smiley neben dem Schriftzug "2024"

© Aliaksandr / stock.adobe.com

Gute Nachrichten des Jahres 2024

Positiver Jahresrückblick: Davon bleiben Arztpraxen erst einmal verschont