Nicht nur an Silvester
Beleidigungen, Beschimpfungen, Böllerbeschuss: Einsatzkräfte leiden unter Gewalt
Nicht nur an Silvester werden Einsatzkräfte beschimpft und beleidigt. Gewalt gegen Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienste ist mittlerweile offenbar „in“, wie eine Umfrage des Deutschen Feuerwehrverbandes zeigt.
Veröffentlicht:Berlin. Gewalt gegen Einsatzkräfte ist kein Einzelfall und auch kein Silvesterphänomen. Das betonte der Deutsche Feuerwehrverband am Donnerstag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Als Beleg dient ihm eine Umfrage, die er 2023 unter Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehren zu den Erfahrungen in den vergangenen zwei Jahren durchführte. Aktuelle Berichte aus den Hochwassergebieten in Deutschland scheinen die bitteren Erfahrungen zu bestätigen.
Seit Heiligabend seien viele Feuerwehren wegen steigender Wasserpegel ununterbrochen im Einsatz, berichtete Karl-Heinz Banse, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes. Dabei schlage ihnen nicht immer Dankbarkeit entgegen. Stattdessen müssten die Feuerwehrleute mit Anwohnern diskutieren, Beleidigungen einstecken. Sogar Sandsäcke würden von Dämmen und Deichen gestohlen. Schaulustige behinderten die Einsatzkräfte.
Jeder zweite Feuerwehrler hat Erfahrungen mit Gewalt
Solche demotivierenden Erfahrungen machten die Feuerwehren aber nicht nur während extremer Ereignisse wie Hochwasser oder zu Silvester. Sie begegneten den Einsatzkräften inzwischen häufig in Alltagssituationen, etwa wenn eine Straße wegen eines Unfalls gesperrt werden muss und Autofahrer sich laut Banse „in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt“ sehen.
Nach der Umfrage des Deutschen Feuerwehrverbandes haben knapp über 50 Prozent der Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren schon Gewalt „in jeder Form“ erlebt. Am häufigsten wurden sie beschimpft und beleidigt. Danach folgen im Ranking die Behinderung der Arbeit. 14 Prozent mussten schon die Erfahrung machen, mit Raketen beschossen oder Böllern beworfen zu werden - und das nicht nur an Silvester, wie Thomas Wittschurky, Leiter des Fachausschusses Sozialwesen im Deutschen Feuerwehrverband, sagte. 80 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, die allgemeine Respektlosigkeit und mangelnde Wertschätzung als schlimm und belastend zu empfinden.
Alkohol ist meistens nicht der Auslöser
Die Umfrage zeige, dass Gewalt gegen Einsatzkräfte oft nicht einer Gruppendynamik folge, sondern Einzeltätern zuzuschreiben sei. Alkohol spiele dabei - entgegen häufigen Annahmen - meist keine Rolle. Es sei gerade „in“, Einsatzkräfte zu attackieren, sagte Feuerwehrpräsident Banse. Gewalt gegen Feuerwehren, Polizisten oder Rettungsdienste habe es schon immer gegeben, neu sei aber die Qualität und Menge. Die Attacken würden durch die sozialen Medien verstärkt.
Nicht nur Banse, sondern auch Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, forderten Bund, Länder und Kommunen auf, die Sicherheit der Einsatzkräfte zu gewährleisten und Übergriffe zu ahnden. „Wir müssen Solidarität mit Einsatzkräften zeigen“, so Hussy. Aggressives Verhalten behindere nicht nur bei den Hilfeleistungen, sondern demotiviere auch. „Das schadet der ganzen Gesellschaft. Man riskiert, dass am Ende niemand mehr da ist, der hilft.“
Böllerverbot schwer durchsetzbar
Die Forderung nach umfassenden Böllerverboten während der Silvesternacht bewertete Karl-Heinz Banse zurückhaltend. Ein solches Verbot wäre nur sehr schwer durchsetzbar, die Polizei dadurch stark überlastet. Banse plädierte dafür, das Abbrennen von Feuerwerk nur an zentralen Stellen zu genehmigen.
Am Donnerstag appellierte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) an die Bevölkerung, verantwortungsvoll mit Feuerwerk umzugehen. Böllerverletzungen führten die Krankenhäuser in der Silvesternacht regelmäßig an den Rand des Ausnahmezustands, sagte Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß mit Blick auf die Codierung der ICD W49.9, die Verletzungen beschreibt, die unter anderem typisch nach Unfällen mit Feuerwerk sind.
2022 seien im Durchschnitt täglich knapp 26 Fälle mit der ICD W49.9 codiert worden. Am Neujahrstag 2023 schnellte die Fallzahl laut DKG „drastisch nach oben“: „Allein am 1. Januar 2023 wurden 117 neu aufgenommene Fälle mit der ICD W49.9 gezählt“, heißt es in einer Mitteilung. (juk)