Interview

„Einsamkeit lässt sich überwinden“

Privatdozent Dr. Mazda Adli ist Psychiater und Stressforscher. Der Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin leitet an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité den Forschungsbereich „Affektive Störungen“.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Sie haben sich viel mit den seelischen Folgen der Verstädterung befasst. Machen Städte ihre Bewohner einsam?

„Einsamkeit ist ein Tabuthema. Vielen Patienten fällt es schwer einzuräumen, dass sie sich einsam fühlen. Es gilt als Versagen“, sagt Dr. Mazda Adli, Psychiater und Stressforscher, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin.

„Einsamkeit ist ein Tabuthema. Vielen Patienten fällt es schwer einzuräumen, dass sie sich einsam fühlen. Es gilt als Versagen“, sagt Dr. Mazda Adli, Psychiater und Stressforscher, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin.

© Annette Koroll FOTOS

Dr. Mazda Adli: Das Risiko für soziale Isolation ist in Städten größer als auf dem Land. Und der Trend zur Vereinzelung ist hier ungebrochen.

Seit Beginn der 90er Jahre ist die Zahl der Single-Haushalte in Deutschland von 11,5 auf 16 Millionen gestiegen. Bis zum Jahr 2030 wird ein Viertel der Deutschen allein wohnen, und zwar vor allem in den Großstädten. Hier leben jetzt schon 30 Prozent der Einwohner allein. Berlin hat als Bundesland mit 31 Prozent einen Spitzenplatz, gefolgt von Hamburg und Bremen.

In den Städten herrscht zwar eine große Gemeinschaft aber zugleich auch eine große Anonymität. Die Anonymität von Großstädten zieht auch viele Menschen an. Nicht alle können damit aber umgehen. Manche vereinsamen.

Einsamkeit ist ja keine Diagnose.

Adli: Genau. Sie ist vielmehr ein Begleitphänomen etwa bei Patienten, die mit einer schizophrenen Erkrankung zu uns kommen oder mit einer Depression. Psychische Erkrankungen erhöhen das Risiko von Einsamkeit, weil sie mit sozialem Rückzug verbunden sind.

Einsamkeit kann aber auch ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen sein. Einsamkeit ist eine besondere Form von sozialem Stress, der häufig bei der Entstehung psychischer Erkrankungen und Krisen eine Rolle spielt.

Bei einsamen Alleinwohnenden wird der Umzug in eine Wohngemeinschaft auch nicht helfen?

Adli: Alleinleben bedeutet nicht automatisch, einsam zu sein, aber Einsamkeit kann aus dem Alleinleben hervorgehen. Andererseits schützt Gemeinschaft nicht automatisch vor Einsamkeit. Man kann mitten in der Gemeinschaft einsam sein, und man kann Teil einer schützenden Gemeinschaft sein, obwohl man allein lebt.

Es kommt am Schluss sehr auf die Qualität der sozialen Beziehungen aber auch auf die sozialen Skills der betroffenen Personen an.

Welche Skills helfen gegen Einsamkeit?

Adli: Das Antidot gegen Einsamkeit ist soziale Unterstützung, die wir durch Freunde, Angehörige, Kollegen oder Nachbarn erfahren. Soziale Kompetenz, Offenheit und Toleranz sind Eigenschaften, die helfen, mit anderen Menschen stabile Beziehungen einzugehen. Das sind Eigenschaften, die wir uns in der Regel in Kindheit und Jugendzeit aneignen. Entscheidend ist natürlich auch ein Gefühl von Zugehörigkeit zum Ort und zu den Menschen um einen herum.

Wäre man auf dem Dorf eher vor Einsamkeit geschützt?

Adli: In Orten mit 5000 oder weniger Einwohnern sind es tatsächlich nur 14 Prozent der Menschen, die allein leben. Soziale Unterstützungsstrukturen sind in ländlichen Regionen auch traditionell stärker ausgeprägt. Allerdings hat das auch eine Kehrseite: Nämlich größere soziale Kontrolle, weswegen vielen, gerade jüngeren Menschen, die Anonymität der Großstadt so attraktiv erscheint.

Was können Stadtplaner und Architekten tun, um die Stadtbewohner nicht der Einsamkeit auszuliefern. Hochhaussiedlungen dürften wohl nicht förderlich sein.

Adli: Wir brauchen öffentliche Räume – Plätze, Parks, Bürgersteige, die nicht nur Transitzonen, sondern Verweilzonen sind. Sie wirken sozialer Isolation direkt entgegen. Deshalb haben öffentliche Plätze auch einen Public Health Auftrag. Dazu gehören übrigens auch Kultureinrichtungen. Entscheidend ist, dass wir dafür sorgen, dass der Zugang allen ohne große Hürden möglich ist.

Was können Sie als Arzt für die Einsamen der Städte tun?

Adli: In der Fliedner Klinik Berlin legen wir auf den Aufbau und die Sanierung des sozialen Netzes der Menschen großen Wert. Wir helfen dabei, ein Unterstützernetz aus Familie, Freunden, Nachbarn und Kollegen zu knüpfen. So lernen die Patienten wieder, am Leben teilzuhaben und die soziale Isolation zu überwinden. Der ganze Prozess braucht aber viel Fingerspitzengefühl. Denn Einsamkeit ist ein Tabuthema. Vielen Patienten fällt es schwer einzuräumen, dass sie sich einsam fühlen. Es gilt als Versagen.

Wie sind die Erfolgsaussichten?

Adli: Einsamkeit lässt sich in der Regel überwinden. Der Prozess beginnt häufig schon beim Hausarzt, der auf mögliche Zeichen der Einsamkeit achtet und die Patienten zu sozialen Aktivitäten zu ermuntert.

Allerdings: Das individuelle Bedürfnis nach sozialer Aktivität ist sehr unterschiedlich. Sie können aus einem von Natur aus zurückgezogenen Menschen keinen sozialen Tiger machen.

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Kommentare
Edelmann 03.01.202009:27 Uhr

An Kirchengemeinden habe ich beim Lesen dieses Interviews ebenfalls gedacht. Ich möchte es noch um den Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst ergänzen. Hier kommen Menschen aus mehreren Generationen zusammen, tauschen sich aus und lernen sich kennen.

Dieterle 27.12.201914:22 Uhr

Ich möchte auch auf die Gemeinschaft in Kirchengemeinden hinweisen, oft haben diese auch einen Besuchsdienst, der aber auch über Ehrenamtsagenturen beim Rathaus erfragt werden kann.

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