Engagement für ein kleines Stück Russland
In der Siedlung Alexandrowka in Potsdam lebten einst russische Soldaten. Der Arzt Dr. Hermann Kremer hat zwei zu DDR-Zeiten verfallene Häuser wieder aufgebaut.
Veröffentlicht:KÖLN. Etwas versteckt zwischen Neuem Garten und Schloss Sanssouci in Potsdam liegt die Siedlung Alexandrowka. Ein kleines Stückchen Russland mit hölzernen Katen und Obstbäumen, die König Friedrich Wilhelm III. von Preußen 1826/27 zu Ehren seines guten Freundes, des russischen Zaren Alexander I. errichten ließ. Sänger eines russischen Soldatenchores haben hier damals mit ihren Familien gewohnt, die der Zar dem preußischen König schenkte.
Die Siedlung ist künstlich angelegt: Entlang zweier Hauptstraßen, die sich in Form des Andreaskreuzes schneiden, liegen sich zwölf Häuschen paarweise gegenüber. Auf dem nahegelegenen Kapellenberg liegt die Alexander-Newskij-Kirche. Die Kolonie war lange Zeit bewohnt, doch zu DDR-Zeiten verfiel sie zunehmend. Heute zeugen nur noch drei russische Familiennamen von der Vergangenheit des Dorfes.
Seit einigen Jahren ist in die jahrzehntelang vernachlässigte Siedlung wieder Leben eingekehrt. Der Gynäkologe und Zytologe Dr. Hermann Kremer engagiert sich für die Erhaltung der Kolonie, die mit den Potsdamer Schlössern und Parks zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Der Mediziner aus Haltern am See im nördlichen Ruhrgebiet hat zwei der Holzhäuser gekauft und originalgetreu restaurieren lassen. In einem wohnt seit 2002 der Oberbürgermeister von Potsdam zur Miete. In dem anderen hat Kremer das private "Museum Alexandrowka" eingerichtet, das in diesem Jahr fünfjähriges Jubiläum feiert.
Der 68-Jährige engagiert sich schon lange für den Denkmalschutz. Die Renovierung der beiden Häuser sowie die Einrichtung des Museums Alexandrowka hat er ganz ohne Finanzspritzen vom Land oder vom Bund auf die Beine gestellt. Nach dem Mauerfall hatte er mit seiner Frau eine Reise durch die neuen Bundesländer unternommen und war dort zufällig auf die russische Soldatensiedlung gestoßen, die sein Herz gewann. "Ich wollte gerne etwas dazu beitragen, dass in Ostdeutschland historische Orte erhalten bleiben", sagt Kremer der "Ärzte Zeitung". Er gründete eine Stiftung, die heute das Museum betreibt.
Im Erdgeschoss des Museums können Besucher in einem Rundgang etwas über die Geschichte der Kolonie, das Leben und Schicksal der ersten Bewohner, die Bauweise der Häuser und über die Obstgärten lernen. Im ersten Stock finden regelmäßig Sonderausstellungen statt. Im Sommer ist die Ausstellung "Fürstliche Mütter und Töchter zwischen St. Petersburg, Weimar und Berlin" zum Leben der Großherzogin Maria Pawlowna und ihrer Töchter, den späteren Kaiserinnen Maria und Augusta, geplant. "Wir wollen kein Heimatmuseum sein, das russische Folklore aus verschiedenen Jahrhunderten zeigt", betont Kremer. "Unsere Ausstellungen haben einen wissenschaftlichen Anspruch."
Um Konzeption und Exponate kümmert sich der Museumsleiter Andrej Tchernodarov. Er ist der einzige fest angestellte Mitarbeiter des Museums. "Wir machen das sozusagen als Familienbetrieb", sagt Kremer. Finanziell trägt es sich noch lange nicht, der Arzt muss regelmäßig nachschießen. Doch er hängt mit Leidenschaft an seinem Projekt. Obwohl er sein zytologisches Labor in Haltern in einem MVZ weiterführt, ist er einmal im Monat in Potsdam, um nach dem Rechten zu sehen.
Alexandrowka soll ein Ort der interkulturellen Begegnung sein, wünscht sich der Mediziner. Er will zeigen, dass konfliktfreies Zusammenleben zwischen den Nationen möglich ist, so wie damals, als noch die Sänger in Alexandrowka lebten. Im Sommer gibt es Freilichtkino, Firmen veranstalten hier ihre Betriebsfeste, es finden Familienfeiern und andere öffentliche Veranstaltungen statt. 10 000 Besucher konnte Alexandrowka im vergangenen Jahr verzeichnen. "Wir haben viele russische Gäste, die sehen wollen, wie es früher bei ihnen ausgesehen hat", sagt Kremer. "In Russland selbst gibt es keine so gut erhaltene Anlage eines typischen Soldatendorfes mehr."