Ex-Spitzenathlet Gienger warnt

Erst Doping-Vorwürfe prüfen - dann urteilen!

Doping und kein Ende: Der frühere Weltklasse-Turner und heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Eberhard Gienger fordert eine unabhängige Prüfung der in der Dopingstudie erhobenen Vorwürfe.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Eberhard Gienger bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal.

Eberhard Gienger bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal.

© WEREK / imago

FRANKFURT/MAIN. Der ehemalige Weltklasse-Turner und heutige Bundestagsabgeordnete Eberhard Gienger (CDU) mahnt bei der Bewertung der jüngst veröffentlichten Studie der Berliner Humboldt-Universität zum Doping in der Bundesrepublik zur Zurückhaltung.

"Die genannte Studie ist kein Tatsachenbericht, sondern stellt eine Retrospektive und historische Aufarbeitung von primären und sekundären Quellen dar", sagte Gienger, der zurzeit an der "Tour der Hoffnung" zugunsten krebskranker Kinder teilnimmt, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

"Die Ergebnisse, Methoden und Quellen müssen in Blick auf die Ableitung der geäußerten Schlussfolgerungen geprüft werden, vor allem ob diese auch justiziabel sind."

Seit Erscheinen der Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation" schlagen die Wellen hoch.

Die vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) initiierte sowie von der Humboldt-Universität Berlin und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vorgelegte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in Westdeutschland seit Anfang der 1970er Jahre in vielen Sportarten systematisch gedopt worden ist.

Mehr noch: "Versuche mit leistungsfördernden Substanzen wie Anabolika, Testosteron, Östrogen oder dem Blutdopingmittel EPO" seien sogar durch staatliche Fördermittel finanziert worden, kontrolliert durch das 1970 gegründete BISp.

Unabhängige Prüfung dringend erforderlich

"Die Qualität der Studie und die Belastbarkeit der im Raum stehenden, zum Teil schweren Vorwürfe müssen nun von unabhängiger Seite geprüft werden", sagte Gienger, der seit 2002 Bundestagsabgeordneter der CDU und bis vor wenigen Jahren Vizepräsident Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gewesen ist.

"Inwiefern von zweifelhaften, medizinischen Studien, gefördert durch das BISp, auf eine tatsächliche Anwendung verbotener Substanzen und Methoden im Sport der BRD geschlossen werden kann, muss im weiteren Verlauf qualitativ und quantitativ geprüft werden."

Einen Vergleich zwischen dem systematischen Doping in der DDR und in der BRD sieht Gienger kritisch, womit er sich beispielsweise von der Bewertung des ehemaligen Vorsitzenden des Sportausschusses im Deutschen Bundestag Peter Danckert (SPD) distanziert.

Der hatte kürzlich in der "Mitteldeutschen Zeitung" von einem flächendeckenden Doping in Ost und West gesprochen, mit dem Unterschied, "dass es im Osten staatlich angeordnet und im Westen staatlich geduldet" gewesen sei.

Bester deutscher Kunstturner aller Zeiten

Gienger ist der erfolgreichste deutsche Kunstturner aller Zeiten. Von 1971 bis 1981 war er 36-facher Deutscher Meister, dreifacher Europameister am Reck, dreifacher Vize-Weltmeister am Seitpferd und Reck sowie dreifacher Weltcup-Sieger.

1974 wurde Gienger Weltmeister am Reck, zwei Jahre später gewann er bei den Olympischen Spielen in Montreal die Bronzemedaille. Zudem war er 1974 und 1978 deutscher Sportler des Jahres.

2006 räumte der ehemalige Weltklasseturner ein, während seiner aktiven Zeit selbst einmal Anabolika genommen zu haben. Nach einer Knie-Operation im Juli 1974 habe ihm sein damaliger Arzt zum Muskelaufbau für wenige Tage des Anabolikum Fortabol verabreicht.

Gienger, 1951 im baden-württembergischen Künzelsau geboren, zeigt sich überzeugt davon, dass "Spitzenleistungen im Sport auch ohne Manipulation und Doping erreicht werden" können. Dennoch sei die menschliche Leistungsfähigkeit im Sport nicht unbegrenzt.

"Hierüber muss eine öffentliche Diskussion und Rückkopplung innerhalb des Sports stattfinden", fordert der CDU-Politiker und verwahrt sich gegen "eine pauschale Vorverurteilung aller Athleten und Athletinnen".

Der Anti-Doping-Kampf müsse auf nationaler wie internationaler Ebene weiter vorangetrieben werden, unter anderem auch verstärkt in Form präventiver Maßnahmen.

Anti-Doping-Gesetz überflüssig

Die Notwendigkeit eines Anti-Doping-Gesetzes, wie es beispielsweise sein SPD-Kollege Peter Danckert und der Vorsitzende des Deutschen Leichtathletik-Verbandes Clemens Prokop fordern, zweifelt Gienger an. "Im Gegensatz zu staatlichen Gerichten verfügt die Sportgerichtsbarkeit über ungleich schnellere und auch härtere Sanktionsmöglichkeiten", so der Politiker.

"Bei einem positiven Befund kann der Sport sofort eine lange Sperre aussprechen, die über mehrere Jahre einem Berufsverbot gleichkommt." Allerdings müssten sich die Maßnahmen im Kampf gegen Doping im Sport - sowohl auf Seite des Sports wie auch der Politik - stets bewähren und weiterentwickeln.

Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages will die Studie der Humboldt-Universität in einer möglichen Sondersitzung Anfang September beraten.

Unterdessen fordern frühere DDR-Doping-Opfer wie der ehemalige Bahnradfahrer Uwe Trömer, Vorstandsmitglied im Dopingopfer-Hilfeverein, finanzielle Unterstützung für geschädigte Athleten aus dem Westen.

Gienger will sich dem nicht verschließen. "Die weitere Beschäftigung mit der Studie wird zeigen, ob dies notwendig ist."

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Kommentare
Dr. Horst Grünwoldt 27.08.201320:23 Uhr

Klare Stimme

Der frühere Leistungssportler und spätere Politiker, Eberhard Gienger, weiß wovon er spricht: Zu allererst für den Sport und seine gesundheitliche sowie kulturelle Bedeutung in unserer leidenschaftlosen Fernsehsessel- und Autofahrer-Gesellschaft.
Und dann schlägt das Sportlerherz des Eberhard Gienger auch immer noch für die faszinierenden Wettkämpfe gemäß des olympischen Geistes "höher, schneller und weiter", bei denen sich das einzelne Ausnahmetalent zu (beinahe) übermenschlichen Leistungen emporschwingt.
Und das läßt sich ein herausragender Kunstturner zum Glück nicht durch unsportliche "Doping-Unken" vermiesen. Dazu dürfte auch ein Herr Dankert u.a. Funktionäre gehören, denen zum Phantom "doping" nichts anderes einfällt, als ein neues Gesetz zusammenzuschustern und die Körperkultur durch Über-Regulierung unfrei zu machen.
Daß dies den Leistungssport endgültig in Deutschland kriminalisieren würde und den Nachwuchs völlig demotivieren könnte, sich die sportlichen Anstrengungen im Jugendalter noch anzutun, haben die sog. Anti-doping-Kämpfer als aktuelle Krisengewinnler wohl gar nicht bedacht.
Wie lange noch wird das Phantom "Doping" durch den Kraken "WADA" und seine Spurensucher als Geist aus der Flasche über die Medien und in die Welt verbreitet?
Dabei sollten alle redlichen Sportmediziner, Physiologen und Pharmakologen, die nicht Trittbrettfahrer der Saga "Leistungssteigerung durch Doping" und des Doktor-Nimbus sein wollen, endlich bekennen, daß noch niemals der Einzelnachweis gelungen ist, einen Titel oder Weltrekord auf die Einnahme irgendeiner Droge zurückzuführen.
Die Sieger im Sport -wie im Leben- waren und sind stets herausragende Talente und aufopferungsvolle Athleten, die keine geistige oder körperliche Mühe gescheut haben, ganz oben zu stehen.
Dabei sind sie leider auch überall auf der Welt empfänglich für haltlose Versprechen von Scharlatanen wie dem geldgierigen Doktor Fuentes mit seinen unsinnigen Eigenblut-Re-Infusionen und Epo-Injektionen an (Nieren-) Gesunde.
Die herausragenden Radrennfahrer Jan Ullrich und Lance Armstrong waren letztlich nur die (riskant) Gedopten des Dopers Fuentes und haben gewiß keine Leistungssteigerung aus den teuren Behandlungen erfahren. Sie sind deshalb nur Opfer des Blutzapfers geworden; sie als Täter oder sogar Betrüger zu titulieren ist infam.
Weil es sich bei sportlichen Leistungen -abgesehen von Mannschaftssportarten- so gut wie immer um individuelles Vermögen handelt, sollten die Herren und Damen des IOC und der Sportpolitik als Erstes den chauvinistischen Medaillien-Spiegel der Nationen abschaffen.
Soweit es um die ärztliche Anwendung und das In-Verkehr-Bringen von pharmakologisch wirksamen Substanzen durch Apotheker, -oder auch illegale Händler- geht, bietet das Arzneimittel-Gesetz (AMG) alle Möglichkeiten, den Mißbrauch zu unterbinden.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt, Rostock

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