Frauengesundheitskonferenz

Fürsorge auf Kosten der Gesundheit

Die 3. Frauengesundheitskonferenz beleuchtete die Gesundheit von Frauen im Spannungsfeld zwischen Arbeit und Alltag. Zusatzbelastung durch Pflege kann krank machen.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Viel zu verarbeiten: Job, Familie, Alltag.

Viel zu verarbeiten: Job, Familie, Alltag.

© Tijana / stock.adobe.com

Arbeit und Gesundheit sind eng miteinander verknüpft: Gemeinhin gilt Arbeit als gesundheitsfördernd, weil sie sinnstiftend ist. Arbeit kann aber auch krank machen, wenn die Belastung zu hoch ist und die geleistete Arbeit nicht angemessen anerkannt wird. Frauen sind hiervon besonders betroffen: Sie fühlen sich häufiger durch chronischen Stress belastet und sind häufiger krankgeschrieben als Männer.

Wie lässt sich die Arbeitswelt für Frauen gesundheitsverträglicher gestalten? Was stärkt Frauen und hält sie gesund? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die 3. Frauengesundheitskonferenz, zu der das Bundesministerium für Gesundheit und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nach Hannover eingeladen hatten.

Unter dem Motto "Frauen – Arbeit – Gesundheit: Aktuelle Herausforderungen, neue Perspektiven" beleuchteten Expertinnen aus unterschiedlichen Fachrichtungen die Gesundheit von Frauen im Spannungsfeld von Arbeit und Alltag.

Arbeiten auch nach Lottogewinn

Frauen sei ihr Beruf sehr wichtig, betonte die Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Dr. Heidrun Thaiss. Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung habe ergeben, dass 55 Prozent der berufstätigen Frauen auch nach einem Lottogewinn in Millionenhöhe weiterhin arbeiten würden. Sie empfänden den Beruf als sinnvoll und erfüllend. Ein Arbeitsplatz habe großes gesundheitliches Potenzial. Deshalb sei es wichtig, die Arbeitsbedingungen gesundheitsfördernd zu gestalten und die Beschäftigten zu unterstützen.

Trotz der grundsätzlich positiven Einstellung zum Beruf sind Frauen aber häufiger krankgeschrieben als Männer. Thaiss führte dies auf die Mehrbelastung zurück: "In Deutschland leisten Frauen neben ihrer Erwerbsarbeit jeden Tag rund eineinhalb Stunden mehr Fürsorgearbeit als Männer. Sie kümmern sich um die Kinder, pflegen Angehörige und managen den Haushalt."

Diese Überforderung könne krank machen: "Mittlerweile zählen psychische Erkrankungen zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit bei Frauen." Fast ein Fünftel aller berufsbedingten Erkrankungen von Frauen (19,8 Prozent) ist auf psychische Erkrankungen zurückzuführen, gefolgt von Beeinträchtigungen des Muskel-Skelett-Systems (19,5 Prozent) und Erkrankungen des Atmungssystems (16,3 Prozent).

Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geben in Deutschland fast doppelt so viele Frauen (13 Prozent) wie Männer (8 Prozent) an, dass sie sich seelisch belastet fühlen. 9,7 Prozent der Frauen (Männer: 6,3 Prozent) berichteten, dass bei ihnen innerhalb der letzten zwölf Monate eine Depression oder depressive Verstimmung diagnostiziert wurde. Besonders betroffen sei die Altersgruppe der zwischen 45 und 65 Jahre alten Frauen, hier betrug der Anteil 11,8 Prozent. Frauen seien auch häufiger vom Burn-out-Syndrom (5,2 Prozent) betroffen als Männer (3,3 Prozent).

Die Mehrbelastung von Frauen spiegelt sich auch in der Rentenstatistik wider. In Deutschland beziehen rund 930.000 Frauen eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, bei den Männern sind es 880.000. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter von Frauen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit liegt bei 51,2 Jahren (Männer: 52,1 Jahre). Bei fast der Hälfte der betroffenen Frauen (49 Prozent) waren psychische Störungen der Grund für den Rentenzugang.

Frauen in der Pflege

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, Sabine Weiss (CDU), wies auf das besondere Engagement der Frauen in der Pflege hin. Frauen stellten nicht nur mehr Beschäftigte im Pflegebereich, sondern leisteten auch mehr unbezahlte Pflegearbeit als Männer. Pflegende Angehörige seien "Helden unseres Alltags". Um Angehörige zu Hause pflegen zu können, nähmen sie häufig Brüche in der eigenen Berufsbiografie und finanzielle Risiken in Kauf.

Um die Pflegearbeit attraktiver zu gestalten, habe die Bundesregierung die "Konzertierte Aktion Pflege" gestartet. Ziel sei es, den Arbeitsalltag und die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften spürbar zu verbessern, die Pflegekräfte zu entlasten und die Ausbildung in der Pflege zu stärken.

Auch beim Arbeitsschutz gibt es noch viel Optimierungspotenzial. Dies machte Professor Ute Latza von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund deutlich. In Studien zum Arbeits- und Gesundheitsschutz würden vor allem Risiken untersucht, die Männer betreffen. "Männer werden als Norm gesehen", sagte die Biologin und Epidemiologin. Konzeptionelle Überlegungen zu Gender, die zum Beispiel auch die Doppelbelastung vieler Frauen berücksichtigen, fehlten dagegen häufig.

Bei Beratungen zur Gesundheitsförderung in den Betrieben gehe es meist um technische, organisatorische und personelle Maßnahmen, um beispielsweise Rückenschmerzen vorzubeugen. Damit seien aber keine spezifischen Belastungen erfasst, wie sie beispielsweise zum Arbeitsalltag einer Erzieherin gehören, die bei der Beschäftigung mit den Kindern häufig in die Hocke gehen muss.Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin müssten stärker auf die Veränderungen in der Arbeitswelt reagieren, sagte Latza.

So werde es zukünftig mehr ältere Frauen im Erwerbsleben geben. Auch die gesundheitlichen Auswirkungen der Digitalisierung seien ein wichtiges Thema. Junge Selbstständige aus der Start-up-Szene kümmerten sich häufig nicht genug um ihre Ressourcen und bewegten sich zu wenig. "Dass schon junge Menschen Diabetes haben – das ist erschreckend", meinte die Arbeitsschutz-Expertin.

Gesundheitsmanagement nötig

Den Betrieb als gesundheitsförderlichen Ort gestalten – das ist das Ziel der Projekte, die Professor Nadine Pieck vom Institut für Gesundheitsförderung und Prävention im Betrieb der Hochschule Magdeburg-Stendal betreut. Ein betriebliches Gesundheitsmanagement, das auch Geschlechteraspekte berücksichtigt, sei auch im Interesse der Unternehmen, sagte Pieck. "Langfristig ist es ein Risiko, wenn sie ihre Beschäftigten verschleißen." Die Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements erfordere die Bereitschaft zur Veränderung.

Zunächst müsse in einer Sensibilisierungsphase geklärt werden, welches die tatsächlichen Belastungen und Ressourcen in Beruf und Familie seien. Dieser Diskussionsprozess, in den alle Bereiche und Hierarchieebenen einbezogen seien, brauche Zeit. Dabei sei es wichtig, dass auch psychosoziale Komponenten berücksichtigt werden: "Wir wissen alle, dass uns psychosoziale Faktoren bei der Arbeit belasten."

Besonders groß sind die gesundheitlichen Belastungen, wenn neben der Berufstätigkeit auch noch Angehörige zu pflegen sind. Vor diesem Problem stehen inzwischen immer mehr Frauen. Aktuell gebe es etwa 2,9 Millionen Pflegebedürftige, erläuterte Dr. Andrea Budnick vom Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité in Berlin.

Diese Zahl werde in nächster Zukunft deutlich steigen. 2,08 Millionen Pflegebedürftige (73 Prozent) würden zu Hause versorgt. Bei 1,3 Millionen Pflegebedürftigen übernehmen Angehörige die Pflege, 692.000 Pflegebedürftige werden zusammen mit oder durch ambulante Pflegedienste versorgt. Die meisten pflegenden Angehörigen sind Frauen, der Großteil von ihnen ist um die 50 und älter. "Pflege ist eher weiblich geprägt", sagte Budnick.

Umfragen zeigen, dass die meisten Menschen sich wünschen, dass im Bedarfsfall jemand aus der Familie die Pflege übernimmt. Für viele Angehörige sei es selbstverständlich, die Pflege zu übernehmen, weil sie sich moralisch dazu verpflichtet fühlen oder das Umfeld dies erwarte, sagte Budnick. Eine europäische Vergleichsstudie habe ergeben, dass 37 Prozent die Pflege freiwillig oder gern übernehmen. Häufige Motive seien die emotionale Bindung oder der Wunsch, aus Dankbarkeit einem Elternteil etwas zurückzugeben. Außerdem sei es ein gutes Gefühl zu wissen, dass der Pflegebedürftige gut versorgt sei.

Pflege ist aber auch mit vielen psychosozialen Belastungen und gesundheitlichen Risiken verbunden. So sind weder die Dauer noch die Intensität der Pflege vorher planbar. Die durchschnittliche Pflegedauer betrage acht Jahre, teilweise aber auch mehr als 25 Jahre, berichtete Budnick. "Das kann eine Lebensaufgabe sein." Durchschnittlich wendeten pflegende Angehörige wöchentlich 37 Stunden für Pflege- und Assistenzaufgaben auf.

Die Hälfte der Pflegenden müsse regelmäßig den Nachtschlaf unterbrechen. Auch das ständige "Angebundensein" und "Nicht-Abschalten-können" sowie das Wissen, dass der Zustand nicht besser wird, seien sehr belastend, ebenso das Erkennen der Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit und das damit einhergehende schlechte Gewissen. All dies wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus: Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung haben pflegende Angehörige auffallend mehr oder stärkere gesundheitliche Beschwerden.

Eingeschränkte Erwerbstätigkeit

Viele Pflegende sehen sich aufgrund dieser Belastungen dazu gezwungen, die eigene Erwerbstätigkeit zu reduzieren. 72 Prozent der Erwerbspersonen schätzten die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf als eher schlecht oder sehr schlecht ein, berichtete Budnick. Pflegende Erwerbstätige wünschten sich flexibel gestaltbare Arbeitszeitmodelle, Arbeitszeitkonten und Möglichkeiten zur Arbeitsreduzierung. Die derzeitige Arbeitswelt ist darauf jedoch kaum eingerichtet. In einer Untersuchung gaben nur 43 Prozent der Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten an, betriebsinterne Angebote für pflegende Angehörige zu haben. Bei kleineren Unternehmen mit maximal 50 Beschäftigten waren es nur 14 Prozent.

In der anschließenden Diskussion wurde ein weiteres Problem deutlich: Viele Pflegende wissen nicht, wo sie sich Unterstützung holen können und welche Ansprüche sie geltend machen können, um Entlastung zu bekommen. "Das ist nicht einfach, sich in diesem Dschungel zurechtzufinden", berichtete eine Teilnehmerin aus eigener Erfahrung.

ier sei auch das gesellschaftliche Umfeld gefragt. Dieses sollte pflegende Angehörigen dazu ermutigen, sich auch um die eigene Gesundheitsfürsorge zu kümmern und Unterstützung einzufordern. Auch die Hausärzte sollten, wenn sie sich um die medizinische Versorgung des Pflegebedürftigen kümmern, stets auch einer Frage nachgehen: Wie geht es dem Pflegenden?

Erleichterungen in der Pflege

  • Die Regierungsfraktionen im Bundestag planen, pflegende Angehörige besser zu unterstützen und zu entlasten.
  • Das geht aus Änderungsanträgen zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) hervor, die am Mittwoch bekannt wurden.
  • Lesen Sie dazu unseren Artikel: "Spahn plant mehr Unterstützung in der Pflege".

Lesen Sie dazu auch: Frauengesundheitskonferenz: Frauen in der Minijob-Falle

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