Junge Flüchtlinge

Immer mehr psychische Erkrankungen

Die Zahl minderjähriger Flüchtlinge, die wegen einer psychischen Erkrankung stationär behandelt werden müssen, steigt bereits seit einigen Jahren massiv.

Veröffentlicht:

MÜNCHEN. In der größten Versorgungsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Oberbayern, dem kbo-Heckscher Klinikum München, hat sich die Zahl der stationären Aufnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen seit 2012 jedes Jahr verdoppelt, berichtete der Ärztliche Direktor Professor Franz Joseph Freisleder vor der Presse in München.

2012 wurden insgesamt 30 minderjährige Flüchtlinge mit einer psychischen Erkrankung, meist Folge einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), stationär aufgenommen. Im vergangenen Jahr waren es bereits 81 Patienten und bis Ende August dieses Jahres 79.

"Das ist nur die Spitze des Eisbergs", sagte Freisleder. "In der Ambulanz des Klinikums gab es jedes Jahr mindestens doppelt so viele Fälle", erklärte er.

Vor allem in den vergangenen Monaten habe sich die Situation dramatisch zugespitzt. Und auch in Zukunft müsse mit einem Anstieg der Erkrankungszahlen gerechnet werden, denn bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung müsse oft erst eine gewisse Zeit vergehen, bis eine Symptomatik ausbricht.

Syrien kommt erst an vierter Stelle

Die Mehrzahl der unbegleiteten 14- bis 18-jährigen Jugendlichen stammen aus Afghanistan, Somalia und Eritrea. Erst an vierter Stelle steht Syrien, gefolgt vom Irak und anderen afrikanischen Ländern.

Einige der Patienten kommen als Notfall direkt vom Bahnhof oder aus der Fußgängerzone in die Klinik, die meisten jedoch aus Einrichtungen, in denen sie schon einige Wochen oder Monate gelebt haben und man den Eindruck haben konnte, sie seien einigermaßen integriert, berichtete Freisleder.

Im Vordergrund stehen depressive und suizidale Krankheitsbilder sowie Ängste und Aggressivität. Psychotische Zustandsbilder wie Wahnvorstellungen oder Halluzinationen seien zwar nicht häufig, kämen aber vor. Das Problem dabei, so Freisleder: Die Patienten können sich nicht mitteilen und oftmals wissen die Therapeuten deshalb auch nicht, ob sie das Richtige tun.

"Bei Suizidalität ist ein geschützter Raum hilfreich, bei diesen Jugendlichen kann eingesperrt sein jedoch auch zu einer Verstärkung der Panik führen", erläuterte Freisleder.

Mehrfache Traumatisierungen häufig

Viele der Jugendlichen haben mehrfach Traumatisierungen erlebt: Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen am Herkunftsort, während der Flucht, die oftmals mehrere Monate gedauert hat, sowie im Ankunftsland, wo sie wieder durch Gewalt bedroht wurden.

Das Erkrankungsrisiko der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sei daher um ein vielfaches höher als in der Normalbevölkerung, erklärte Freisleder.

Trotz der zum Teil dramatischen Entwicklung in den vergangenen Monaten habe es auch einige Verbesserungen gegeben.

"Es sind neue Netzwerke entstanden, die Verteilung der Patienten ist gerechter geworden und die Übernahme von Dolmetscherkosten ist praktisch kein Thema mehr", erklärte Freisleder. Es fehle aber an räumlichen Kapazitäten und an geeignetem Fachpersonal. (fuh)

Ihr Newsletter zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
BDI-Präsidentin Christine Neumann-Grutzeck

© Rolf Schulten

Interview mit BDI-Chefin

Neumann-Grutzeck: „Wir dürfen uns durch die GOÄ nicht spalten lassen“