Litt der Frauenheld an einer erektilen Dysfunktion?

Von Ronald D. Gerste Veröffentlicht:

Heinrich VIII. (1491 bis 1547) hat nach wie vor den Ruf eines Frauenhelden, obwohl sein Umgang mit seinen insgesamt sechs Ehegattinnen wenig heldenhaft war: Zwei von ihnen ließ er köpfen. Eine jetzt erschienene pathobiographische Studie über den englischen König führt quellenkundliche Belege für eine erektile Dysfunktion auf. Vom lange unter Historikern grassierenden Verdacht der Syphilis wird der Mann, der der englischen Geschichte eine entscheidende Wendung gab, indes freigesprochen.

Charles Dickens (1812 bis 1870) hielt wenig von ihm: Er sei ein "unerträglicher Schurke, eine Schande für die menschliche Natur und ein Fleck von Blut und Fett auf der Geschichte Englands", schreibt der große britische Schriftsteller. Der so Gescholtene, König Heinrich VIII., war bei des Literaten Verdammung schon mehr als drei Jahrhunderte lang tot. Ein Tyrann war der Mann, der England von 1509 bis zu seinem Tod regierte, zweifellos.

Sonderweg nach dem Bruch mit der katholischen Kirche

Doch ohne ihn sähe die Welt heute möglicherweise ganz anders aus. Durch seinen Bruch mit Rom und der katholischen Kirche beschritt sein Land einen Sonderweg. Unter seiner Tochter Elisabeth I. wurde England der wichtigste Gegner der katholischen Weltmacht Spanien. Elisabeth legte den Grundstein für Englands Seeherrschaft und sein überseeisches Empire, welches wiederum Voraussetzung für die heutige Dominanz der englischen Sprache und die Suprematie einer Weltmacht ist, die aus englischen Kolonien hervorgegangen ist, der USA.

Ohne Heinrich VIII. und seine Entschlossenheit zur Konfrontation mit der überkommenen Glaubens- und Weltordnung würden wir vielleicht heute Spanisch als wichtigste Fremdsprache bewerten. Und vielleicht gäbe es dann sogar die Inquisition noch...

Heinrich hatte immer wieder gesundheitliche Krisen

Der Mann, den der deutsche Künstler Hans Holbein der Jüngere im Jahre 1537 in seinem berühmten Ölgemälde "Henry VIII" porträtiert hat, strahlt Kraft aus und Brutalität - sie spiegelt sich in den kleinen, kalten Augen in dem massigen Gesicht wieder. Beide Eigenschaften brauchte Heinrich auch, um nicht nur innen- wie außenpolitische Gegner zu überwinden, sondern auch seine eigenen Krankheiten. Denn der König wurde immer wieder von gesundheitlichen Krisen heimgesucht, die eine zartere Persönlichkeit an der Amtsausübung gehindert hätten.

Der emeritierte britische Chirurg Milo Keynes aus Cambridge, der in der Vergangenheit wiederholt als Autor pathobiographischer Studien berühmter Briten hervorgetreten ist, hat sich jetzt mit der Krankengeschichte Heinrichs VIII. beschäftigt und sie anhand zeitgenössischer Quellen analysiert ("Journal of Medical Biography" 13, 2005, 174).

    Anna Boleyn beklagte mangelnde Puissance.
   

In Leben des Königs, der seine Zeitgenossen durch seinen stämmigen Körperbau und für damals fast erschreckende Größe von etwa 1,85 Meter einschüchterte, wechselten beeindruckende körperliche Leistungen mit schweren, ihn aber nie völlig niederwerfenden Krisen ab.

Der König, der mit 18 Jahren auf den Thron kam, konnte tagelang Turniere feiern, zechen und essen, daß er abergläubischen Zeitgenossen wie der Leibhaftige erschien. Bei einem Turnier verschliß er zehn erschöpfte Pferde, Abwürfe hielten ihn nicht auf, auch eine Fußverletzung, die er sich beim Tennisspielen (bereits anno 1527 eine bei Hofe beliebte Sportart) zuzog, bremste ihn nicht weiter.

Sein Immunsystem muß hervorragend funktioniert haben, denn 1514 erkrankte er an den Pocken, eine der damals in Europa gefürchtetsten Seuchen. Sieben Jahre später zog er sich eine Malaria zu, die damals - heute kaum glaublich - in Teilen Englands endemisch war. Die charakteristischen Fieberschübe suchten ihn danach zeitlebens heim. Der Pest entging er durch Übersiedlung auf Residenzen auf dem Lande und dem Meiden des großstädtischen Ballungsraumes London mit seinen etwa 100 000 Menschen.

Bettlägerigkeit wegen Ulzerationen an den Beinen

Eine wirkliche Plage waren indes Hautgeschwüre an den Beinen. Gemäß der damals herrschen Humorallehre sprachen die Ärzte und der König selbst von "a humor has fallen unto our legs". Die Ulzerationen zwangen ihn in seinen letzten Jahren wiederholt zu längerer Bettlägrigkeit.

Eine Expedition nach Frankreich, wo englische Truppen kämpften, mußte in einem königlichen Reisesessel vonstatten gehen, den einige unglückliche Diener - der riesenhafte König wog weit über 200 Pfund - tragen mußten. Angesichts dieses Gewichtes scheint eine Beinvenenthrombose als Ursache des "sore legge" wahrscheinlich.

Keine Hinweise auf Syphilis

Weniger kraftvoll war Heinrich nach Keynes Forschungen auf dem ehelichen Beilager. Bereits die zweite Gattin, Anna Boleyn (vom spanischen Botschafter wenig feinfühlig "Die Hure" genannt), klagte, Majestät lasse sowohl "vertu" (Tugend) als auch "puissance" (Kraft) vermissen. Keynes tippt auf eine erektile Dysfunktion. Seiner vierten Frau, Anna von Kleve, mochte er überhaupt nicht beiwohnen, angeblich wegen "Mißgefallens ihres Körpers mit den hängenden Brüsten und der Schlaffheit ihres Fleisches".

Die gynäkologisch-geburtshilfliche Epikrisen aller sechs Frauen Heinrichs und seiner beiden (bekannten) Geliebten zeigen keinerlei Auffälligkeiten, die auf eine Syphilis hindeuten, die eine der Damen mit dem König geteilt oder sich bei ihm zugezogen haben könnte, meint Keynes. Auch seine persönliche Anamnese liefere nach heutiger Beurteilung keinen Hinweis auf ein syphilitisches, ihm wiederholt zugeschriebenes Leiden.

Die damals bei der Lustseuche fast pathognomonischen Hautveränderungen wurden bei ihm nicht beschrieben und auch eine mentale Beteiligung fehlte. Ganz im Gegenteil: Heinrich VIII. war bis zu seinem Ende geistig höchst vital. Ob man ihn als großen König oder als Tyrann ansieht - der Mann, der am 28. Januar 1547 starb, hatte die Weichen gestellt.

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