Bedrohung für das Herz

Luftverschmutzung verkürzt Lebenserwartung um fast drei Jahre

Schon geringe Mengen Feinstaub bedrohen das Herz, haben Forscher festgestellt. Luftverschmutzung verkürzt die Lebenserwartung weltweit um mehrere Jahre. Dem Coronavirus kommt dicke Luft entgegen.

Von Bianca Bach Veröffentlicht:
Feinstaub bringt Herz und Kreislauf in Gefahr.

Hohe Feinstaubbelastung: Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten bei Bewegung im Freien über 400 Meter von Hauptstraßen entfernt bleiben.

© Sergiy Serdyuk / stock.adobe.com

Mainz. Weltweit gehen jährlich fast neun Millionen vorzeitige Todesfälle auf Luftverschmutzung zurück. In Europa sind es etwa 800 000. Die Hälfte dieser Menschen stirbt an kardiovaskulären Erkrankungen. Die werden vor allem durch Feinstaub begünstigt.

Global gesehen verkürzt Luftverschmutzung in der Umgebung und in Haushalten die Lebenserwartung um fast drei Jahre. „Dies bedeutet in der Summe für die öffentliche Gesundheit, dass Feinstaub eine ähnliche Bedeutung wie das Rauchen hat“, schreiben Autoren um Professor Thomas Münzel, Zentrum für Kardiologie, Universitätsmedizin Mainz (Herz 2021; 46: 120–128). Rauchen verkürzt die mittlere Lebenserwartung um 2,2 Jahre. So hoch wird auch die Verkürzung der Lebenserwartung in Europa infolge der Feinstaubexposition eingeschätzt.

Feinstaub besteht aus elementarem Kohlenstoff, Übergangsmetallen, Endotoxinen aus Bakterien und Pilzen, komplexen organischen Molekülen, sowie aus Sulfat, Nitrat und Ammonium, die in der Atmosphäre aus flüchtigen organischen Verbindungen, Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid (NO2) und Ammoniak gebildet werden. Er kann in der Luft mehrere hundert Kilometer zurücklegen. Die Konzentration schwankt im Tagesverlauf und abhängig von Witterung und Sonneneinstrahlung. Wichtige Quellen sind der Straßenverkehr, die Verbrennung von Öl, Kohle oder Holz und, besonders in Deutschland, auch die Landwirtschaft, vor allem bei Überdüngung.

PM2,5 gelangen in Gefäßwand

PM2,5-Partikel (Particulate Matter2,5, PM2,5) mit einer Größe von 0,1-2,5 μm entstehen beispielsweise durch Verbrennung. Außerdem gibt es noch Feinstaub mit einem Durchmesser zwischen 2,5-10  μm (PM10) und ultrafeine PM0,1, kleiner als 0,1 μm. PM10 sind etwa so groß wie eine Zelle, PM0,1 etwa wie ein Virus, PM2,5 entsprechen einem Erythrozyten.

Ebenso wie kleinere Partikel gelangen PM2,5 tief in die Lunge, über die Alveolarwand in den Blutkreislauf und dann in die Gefäßwand. Dort stimulieren sie die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies und fördern Entzündungen, die eine Atherosklerose begünstigen. Auch die Blutgerinnung wird aktiviert. Endotheliale Dysfunktion und eine Sympathikusaktivierung direkt im Gehirn beeinträchtigen die Herzfrequenzvariabilität und können eine arterielle Hypertonie auslösen.

Längerfristige PM2,5-Expositionen gehen mit einer erhöhten Hypertonie-Prävalenz einher. In mehreren Metaanalysen stiegen systolische und diastolische Werte bereits bei kurzfristiger Exposition pro 10 μg/m3-Konzentrationsanstieg in der Umgebungsluft um 1–3 mmHg. Auch das Diabetes-Risiko steigt signifikant bei erhöhten PM2,5- und NO2-Werten.

In zwei kanadischen Studien wurden Risikoerhöhungen für ischämische Herzkrankheiten beobachtet, obwohl die durchschnittliche PM2,5-Konzentration unter 9 μg/m3 lag.

Team um Professor Thomas Münzel, Universitätsmedizin Mainz

Das hat Konsequenzen: „Daten des ESCAPE (European Study of Cohorts for Air Pollution Effects)-Projekts aus 22 Kohortenstudien mit mehr als 300 000 Probanden zeigten eine doppelt so hohe Gesamtmortalität im Vergleich zu früheren Beobachtungen“, so das Team um Münzel. Weltweit sind bis zu fünf Prozent der akuten Myokardinfarkte auf kurzfristige PM2,5-Expositionen zurückzuführen. Letztere erhöhen das relative Risiko für einen akuten Myokardinfarkt pro 10 μg/m3 um 2,5 Prozent.

Bei Dauerexposition schaden schon niedrige Feinstaubkonzentrationen: „In zwei kanadischen Studien konnten Risikoerhöhungen für ischämische Herzkrankheiten beobachtet werden, obwohl die durchschnittliche PM2,5-Konzentration unter 9 μg/m3 lag“, so die Mainzer Forscher.

Hohes Risiko für bereits Erkrankte

Mit dem Schmutz in der Luft steigt das Risiko für koronare Ereignisse bei Menschen mit vorbekannter koronarer Herzkrankheit (KHK). Das Langzeitüberleben nach akutem Koronarsyndrom wird reduziert, Herzinsuffizienzen und zerebrovaskuläre Ereignisse werden häufiger. In der Women’s Health Initiative-Studie stieg bei Patientinnen mit zerebrovaskulärer Erkrankung das Schlaganfallrisiko pro 10 μg/m3 langfristiger PM2,5-Exposition um 35 Prozent. Wer nah an stark befahrenen Straßen wohnt, hat mit besonders schweren ischämischen Schlaganfällen zu rechnen.

Beim Ausgang von Infektionen durch SARS-CoV-2 spielen sich Virus und Luftverschmutzung in die Hände. Feinstaub reguliert offenbar den ACE-2-Rezeptor in der Lunge hoch, über den das Virus in den Organismus gelangt. „Die Aufnahme des Virus führt zu einem massiven Endothelschaden und zu einer ausgeprägten Entzündungsreaktion, die sich additiv negativ auf das Herz-Kreislauf-System auswirken, sowie akute Herzinfarkte, Schlaganfälle bzw. Linksherzdekompensationen bis hin zum akuten Herztod triggern können.“

Bessere Luft kommt dem Klima und unmittelbar der Gesundheit aller Menschen zugute. „Der Weg dahin führt über die Minderung von Emissionen“, schreiben die Mainzer Autoren. Gerade der europäische Grenzwert für die PM2,5-Belastung sei viel zu hoch angesetzt. Die Empfehlung der WHO für die Langzeitbelastung mit Feinstaub PM2,5 liegt seit Kurzem bei 5 statt bisher 10 μg/m3 Luft (EU-Grenzwert 25 μg/m3).

Bis die notwendigen Veränderungen politisch entschieden und wirksam sind, bleiben gefährdeten Menschen allenfalls persönliche Schutzmaßnahmen. Etwa, bei hohen Belastungen die Fenster zu schließen und Klimaanlagen mit Innenraumfiltern zu verwenden. Normale Gesichts- und chirurgische Masken filtern PM2,5 nicht wirksam, N95-Masken schon: Unter PM2,5-Exposition über einige Stunden ließ sich damit der systolische Blutdruck senken und die Herzfrequenzvariabilität verbessern.

Schutz durch Masken und Apps

Sich nicht im Freien zu bewegen, um der Schadstoffexposition aus dem Weg zu gehen, ist laut Münzel und Kollegen ein „zweischneidiges Schwert“ (Eur Heart J 2021; 42(25): 2498–2500). Denn damit verzichtet man zugleich auf den kardioprotektiven Effekt durch sportliche Aktivität. Um individuell besser abwägen zu können, setzen die Autoren auf technologische Lösungen, etwa auf Apps, die aktuelle Umweltüberwachungsdaten übertragen und zugleich die körperliche Aktivität registrieren.

Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten bei Bewegung im Freien über 400 Meter von Hauptstraßen entfernt bleiben.

Medikamente zur Primär- und Sekundärprävention einer KHK sind bei gegebener Indikation zu empfehlen. Ansonsten sehen die Mainzer Kardiologen bislang keine medikamentösen Optionen: „Rezeptfreie Medikamente, wie zum Beispiel Vitamine, sind in der Regel wirkungslos und können derzeit keinen Schutz vor durch Luftverschmutzung verursachten gesundheitlichen Auswirkungen bieten.“

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