Fußball-WM
Mit den Toren steigt die Verletzungsgefahr
Im WM-Test der deutschen Nationalelf gegen Italien hat sich Mittelfeldspieler Sami Khedira schwer am Knie verletzt - beim Stand von 1:1. Eine Sportstudie liefert ein interessantes Ergebnis: Im Profifußball ist das Verletzungsrisiko besonders hoch für diejenigen Spieler, deren Mannschaft in Führung liegt.
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Kreuzbandriss im Match gegen Italien: Sami Khedira fasst sich ans Knie und signalisiert, dass er nicht mehr weiterspielen kann.
© imago / MIS
GÖTEBORG. Wie die FIFA-Statistiken der letzten drei Fußball-Weltmeisterschaften zeigen, folgt die Verletzungsrate bei den Spielern während der Austragung einem bestimmten Muster: Am höchsten ist das Risiko im Spielverlauf jeweils für das Team, das gerade führt, wie Ärzte aus Schweden und Finnland herausfanden. (Br J Sports Med 2013; 47: 960).
Für Mannschaften, die zum Zeitpunkt des Unfalls vorne lagen, haben Wissenschaftler eine Verletzungsinzidenz von 81 pro 1000 Spielstunden errechnet.
Für Mannschaften im Rückstand sank die Inzidenz auf 55,5, bei Gleichstand betrug sie 59,7 pro 1000 Stunden.
Die Spieler des Teams, das sich gerade im Rückstand befindet, neigen zu vermehrter Aggressivität, vor allem in wichtigen Spielen, vermuten die Forscher um Jaakko Ryynänen, der an der Universität Helsinki sowie an der renommierten Sahlgrenska Academy in Göteborg forscht.
Eine mögliche Ursache seien aber auch Änderungen in der Spielstrategie. Wenn bereits ein oder mehrere Tore kassiert wurden, würden die Spieler oft zu einer härteren Gangart angehalten.
Es sei bekannt, so Ryynänen, dass sich in einem "Duell" häufiger derjenige Spieler verletzt, der angegriffen wird und nicht der Angreifer selbst.
Fair play ist keineswegs selbstverständlich
An der Bereitschaft der Spieler, den Gegner ohne Rücksicht auf Verluste zu attackieren, mangelt es im Profifußball grundsätzlich nicht, befindet Ryynänen. So seien - je nach Bedeutung des Turniers - bis zu 90 Prozent der Spieler zu einem Foul bereit, wenn sie ihre Mannschaft damit "herausreißen" können.
Dagegen stehe beim erfolgreicheren Team oft eine eher defensive Taktik im Vordergrund.
Die gefährlichste Position mit einer Verletzungsrate von 85,7 pro 1000 Spielstunden ist laut Statistik die des Stürmers. Im Vergleich dazu verletzten sich Verteidiger im Schnitt "nur" 68,8-mal pro 1000 Stunden.
Die Verletzungsgefahr speziell für den Stürmer sank paradoxerweise, wenn seine Mannschaft führte. Umgekehrt verhielt es sich dagegen bei den Außen- und Mittelfeldspielern: Bei Vorsprung des eigenen Teams verletzten sich diese besonders häufig (78,9/1000 Spielstunden).
Ein besonderes Phänomen ergab sich bei Gleichstand: In dieser Situation trugen die Stürmer wesentlich öfter Blessuren davon (73,6) als wenn ihre Mannschaft entweder am Verlieren (13,7) oder am Gewinnen (11,2) war.
Paradox: Die Verletzungsgefahr ist nach Pausen erhöht
Gerade bei internationalen Turnieren geraten Stürmer am stärksten unter Druck, so Ryynänen. Damit erklärt sich zwar die hohe Verletzungsrate bei Gleichstand, nicht aber das niedrige Risiko bei Rückstand.
Ebenso überraschend ist die Tatsache, dass die Verletzungsgefahr im ganzen Team stieg, wenn die Fußballer zwischen den Spieltagen mehrere Tage Zeit hatten.
"Längere Spielpausen beeinträchtigen möglicherweise die Konzentration", spekulieren die Forscher. Es könne aber auch sein, dass die Spieler in den freien Tagen vermehrt Energie ansammeln und beim nächsten Match dann umso härter zur Sache gehen.
Ryynänen und Kollegen wollen nun der Sache mit den Spielpausen weiter auf den Grund gehen. Je mehr man über die Verletzungsmuster und ihre Ursachen Bescheid wisse, desto besser könne man präventiv tätig werden. Brasilien 2014 lässt grüßen.