Neuwied

Muster-Kita zum Wohle der Erzieherinnen

Rollende Tische, moderne Technik für das Raumklima, neue Arbeitsabläufe: Das soll die Gesundheit von Erzieherinnen erhalten. In Neuwied entsteht eine Muster-Kita.

Von Christian Schultz Veröffentlicht:
Ein Messsystem stellt die Muskel-Skelett-Belastung der Erzieherin in der Kita "Kinderplanet" fest.

Ein Messsystem stellt die Muskel-Skelett-Belastung der Erzieherin in der Kita "Kinderplanet" fest.

© Unfallkasse Rheinland-Pfalz

NEUWIED. In Neuwied wird kräftig gehämmert und gebohrt. Die Kita "Kinderplanet" wandelt sich zu einer bundesweit einzigartigen Muster-Kindertagesstätte.

Mit neuer Technik und praktischerem Mobiliar sollen das Arbeiten für Erzieher angenehmer und die Betreuung der Kinder optimiert werden.

In Rheinland-Pfalz wird von September an getestet, was künftig in Kitas deutschlandweit Einzug halten könnte. Das Ziel: weniger Unfälle und bessere Gesundheitsvorsorge.

Umgesetzt werden in der Muster-Kita, die künftig aus einem sanierten älteren Bau und einem Neubau bestehen wird, unter anderem Forschungsergebnisse der Studie "Ergo-Kita".

Diese haben die Unfallkassen Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen sowie die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege initiiert, umgesetzt hat sie das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Über zweieinhalb Jahre wurden Erzieherinnen in Kitas befragt und diverse Faktoren gemessen. Teil war etwa eine computergestützte Langzeit-Analyse von Belastungen der Muskeln und des Skeletts - zum Beispiel, wenn Erzieherinnen Kinder tragen oder Möbel rücken. Herausgekommen ist ein Katalog an Verbesserungen, die in Neuwied erstmals umgesetzt werden.

Außenluft wird bei Bedarf beigemischt

"Es fängt damit an, dass Mobiliar für Groß und Klein vorhanden ist", sagt Bodo Köhmstedt, der das Projekt bei der Unfallkasse Rheinland-Pfalz betreut. Und es reicht bis zu Geräten, die den Kohlendioxid-Gehalt in der Luft messen.

Bei Bedarf wird Außenluft beigemischt. Davon verspricht sich Kita-Leiterin Anja Schäfer eine Menge: "Oft merkt man nicht, dass der Sauerstoffgehalt geringer wird. Man wird müde." In einigen Räumen werden Deckenelemente für eine bessere Akustik eingebaut, um ein Flat-terecho zu verhindern.

Doch warum der Aufwand? "Der Gesundheitszustand wird problematischer, immer mehr haben Rückenbeschwerden", sagt Köhmstedt mit Blick auf Kita-Mitarbeiter. Der Leiter des Neuwieder Amtes für Jugend und Soziales, Wolfgang Hartmann, pflichtet bei.

"Man hat gemerkt, dass die körperliche Belastung der Erzieherinnen immer mehr zunimmt." Kita-Leiterin Schäfer weiß, alle zurzeit 17 Erzieherinnen im Team klagten mal über Nacken-, Hüft-, Becken- oder Kniebeschwerden.

Ausdruck dessen sei, dass das Berentungsalter bei Erzieherinnen bei durchschnittlich 59 Jahren liege, sagt Köhmstedt von der Unfallkasse. Neu werden in Neuwied von Herbst an auch Tische mit Rollen sein.

"Damit die Erzieherinnen nicht so schwer tragen müssen", sagt Kita-Leiterin Anja Schäfer. Statt in Gruppenräumen werden die Kinder zudem in einer Kita-Mensa essen. Das macht ein tägliches Räumen von Tischen überflüssig.

Neue Gitterbetten haben Türen, damit die Kleinen nicht mehr von den Erzieherinnen herausgehoben werden müssen. Auf kleinen Podesten können siezudem bald die Schnürsenkel der Kinderschuhe binden, ohne sich bis zum Boden bücken zu müssen.

Sanierung kostet 200.000 Euro

Flankiert wird das Ganze mit Workshops für die Bediensteten. Auch Arbeitsabläufe würden thematisiert. "Erzieherinnen neigen dazu, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und sich in den Hintergrund", betont Köhmstedt. Fortan solle eine Art gesunder Egoismus bei ihnen gefördert werden.

"Die Muster-Kita war für uns ein Glücksfall", sagt der Neuwieder Oberbürgermeister Nikolaus Roth (SPD). 200.000 Euro kostet die Sanierung des bestehenden Hauses, 2,8 Millionen Euro der Neubau, wie Hartmann erklärt.

Es fließt Geld von Bund, Land, der Stadt, der Unfallkasse und des Instituts für Arbeitsschutz. Es gehe auch darum, den Arbeitsplatz Kita attraktiver zu machen. Dass künftig nicht alle Kitas so perfekt aussehen werden, ist indes allen bewusst. "Wir haben hier den Vorteil, dass wir komplett neu ausstatten", sagt Köhmstedt.

Im Juni werden die ersten neuen Möbel geliefert, im September soll die zurzeit in einer Schule untergebrachte Kita in die Waldstraße zurückziehen. 140 Kinder werden sich dann in acht Gruppen tummeln.

Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres soll Bilanz gezogen werden. Großes Interesse hat der "Kinderplanet" schon jetzt auf sich gezogen. "Wir haben viele Anfragen aus anderen Ländern", sagt Chefin Schäfer. (dpa)

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