Kosovo-Krieg
Sexualisierte Kriegsgewalt hat gravierende Langzeitfolgen
Eine Studie der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale verdeutlicht, dass Überlebende von Kriegsvergewaltigungen auch nach Jahrzehnten noch unter den psychischen und physischen Folgen leiden.
Veröffentlicht:Köln. Opfer sexualisierter Kriegsgewalt leiden auch Jahrzehnte später noch unter den psychischen und physischen Folgen der traumatisierenden Erlebnisse. Das zeigt eine Studie der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale in Köln und ihrer bosnischen Partnerorganisation Medica Gjakova.
Einbezogen in die Untersuchung waren 200 Überlebende von Kriegs-Vergewaltigungen während des Kosovokriegs, der von 1997 bis 1999 dauerte. Der allergrößte Teil der Teilnehmenden waren Frauen, es waren aber auch neun Männer einbezogen. Sie alle sind von Medica Gjakova unterstützt worden. Die bei den Frauen und Männern im Jahr 2022 erfolgte Datenerhebung wurde durch 20 qualitative Interviews ergänzt. Die Studie ist nicht repräsentativ.
87 Prozent der Teilnehmenden waren auch anderen potenziell traumatisieren Ereignissen ausgesetzt, fast 50 Prozent hatten sexualisierte Gewalt mit ansehen müssen.
96 Prozent mit einer klinischen Depression
Laut der Untersuchung erfüllen 73 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Kriterien zur Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, 13 Prozent die einer einfachen posttraumatischen Belastungsstörung. 96 Prozent leiden an einer klinischen Depression. 30 Prozent hatten in der Woche vor der Befragung Selbstmordgedanken, über 50 Prozent haben Selbstverletzungsgedanken. 70 Prozent haben das Gefühl, ihr Leben sei nicht mehr lebenswert.
48 Prozent der Frauen und Männer empfinden ihren Gesundheitszustand als schlecht, nur sechs Prozent als gut. 86,5 Prozent leiden unter Kopfschmerzen, 83,5 Prozent unter Müdigkeit, 80,5 Prozent haben Nackenschmerzen, 76,5 Prozent Rückenschmerzen. Häufig sind auch Bluthochdruck (63,5 Prozent) und Verdauungsprobleme (51,5 Prozent). 93 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben an, regelmäßig ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Nicht alle körperlichen Beschwerden sind direkte Folgen von sexualisierter Kriegsgewalt, erläutert Medica Mondiale. „Der chronisch negative Zustand der Überlebenden kann jedoch als anhaltender traumatischer Prozess interpretiert werden, der sich fortsetzt, weil die gesundheitlichen Probleme die Überlebenden ständig an das Geschehene erinnern.“
Zu den psychischen und physischen Folgen der Vergewaltigungen kommen soziale folgen. Da sexualisierte Gewalt weiterhin ein Tabuthema ist, würden die Überlebenden oft gesellschaftlich stigmatisiert und ausgegrenzt, erläutert die Organisation.
Untersuchung steht exemplarisch für andere Regionen
„Noch immer haben die Gewalterfahrungen des Kosovo-Krieges enorme Auswirkungen auf die Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt, auf ihre Familien und die Gesellschaft als Ganzes“, betont die Gynäkologin Monika Hauser, Gründerin und Vorständin von Medica Mondiale. Dennoch gebe es weiterhin erhebliche Forschungslücken und kaum unabhängige oder staatliche Stellen, die sich des Themas annehmen, bemängelt sie.
Die Untersuchung aus dem Kosovo steht nach Angaben von Hauser exemplarisch für andere Konflikt- und Postkonfliktregionen weltweit. (iss)