DRK-Heime im Norden
Studie belegt Gewalt in der Kindererholung
Verschickungskinder sollten in der Nachkriegszeit Gewicht zulegen und ein gesünderes Erscheinungsbild erhalten. Um das zu erreichen, waren den Verantwortlichen viele Mittel recht.
Veröffentlicht:Kiel. Für manche Kinder war der Aufenthalt in einem Erholungs- oder in einem Kurheim tatsächlich erholsam. Oft galt in den Jahren zwischen 1945 und 1990 aber auch das Gegenteil und viele dieser Kinder haben auch als Erwachsene noch schmerzhafte Erinnerungen an diese Zeit. Wie die Situation in den fünf Heimen des DRK in Schleswig-Holstein für die „Verschickungskinder" war, hat Sozialwissenschaftlerin Leoni Umlauft in ihrer Studie „Gewalt in der Kindererholung – Trägerschaft und Verantwortung" untersucht. Die Ergebnisse stellte sie heute in Kiel zusammen mit der DRK-Landesvorstandssprecherin Anette Langner vor.
„Ich habe mich oft wie im Gefängnis gefühlt". Solche und ähnliche Aussagen fielen in Interviews, die Umlauft mit ehemaligen Verschickungskindern in den DRK-Heimen geführt hat. Das Resumée der Sozialwissenschaftlerin: „Die Intention hinter den Kindererholungen und Kinderkuren war eine gute, in der Umsetzung wurden jedoch die kindlichen Bedürfnisse oftmals komplett missachtet."
Mangelernährung war häufiger Grund für die Kinderkuren
Zielgruppen der oft auf sechs Wochen festgelegten Aufenthalte waren Kriegswaisen, Kinder aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten Familien, Kinder erkrankter Eltern, selbst erkrankte oder behinderte Kinder sowie Berliner Kinder. Ein über Jahre vorherrschender Grund für die Verschickung in den Norden war Mangelernährung. Die Mittel für die Aufenthalte kamen überwiegend aus öffentlichen Töpfen. Neben den Heimleitungen und weiterem Personal gab es eine – fast ausnahmslos männliche – ärztliche Leitung.
Ton und Atmosphäre in den Heimen waren geprägt von Strenge, Gehorsam und Distanz – in aller Regel von der Heimleitung ausgehend. Körperliche Züchtigung war in den Heimen zwar verboten, ihre Androhung gehörte aber offensichtlich zum Alltag. So wurde der Zweck der Aufenthalte – Gewichtszunahme und gesundes Erscheinungsbild – oft nur durch Drohungen erreicht. „Dieses wöchentliche Wiegen, wo die Heimleiterin(...) uns stramm stehen lassen hat, mehr oder weniger mit Repressalien gedroht, wenn wir nicht essen, wenn wir nicht zunehmen", wird ein interviewtes ehemaliges Heimkind in der Studie zitiert.
Strafen als Erziehungsmittel
Die Interviewten berichteten von einer Stimmung der Angst, einem Gefühl des Ausgeliefertseins, von Bloßstellungen nach Einnässen oder nach Weinen, von zensierten Briefen und dem Eindruck, „man hatte keinen eigenen Willen zu haben". Zentrales Erziehungsmittel schienen Strafen zu sein, vereinzelt gehörte dazu auch Einsperren in eine dunkle Kammer.
Gesteigert wurde die Angst der Kinder, wenn diese während des Aufenthaltes krank wurden. Ein damals an Mumps erkranktes Kind verschwieg dies aus Angst und steckte deshalb acht weitere Kinder an.
„Erschreckender Einblick"
Das DRK im Norden wertete die Ergebnisse der Studie als „teils erschreckenden Einblick in die Geschichte der Kindererholung und -kur in Schleswig-Holstein." Insbesondere psychische Gewalt habe das Leben vieler Kinder in den Heimen geprägt. „Aus unserer Sicht markiert diese Studie einen wichtigen Schritt in der Aufarbeitung der Kindererholung durch das DRK in Schleswig-Holstein", sagte Langner. Dies trage dazu bei, „das Bewusstsein für die erlebte Gewalt zu schärfen und zukünftige Forschungen in diesem Bereich anzustoßen." Zu ebenfalls verstörenden Ergebnissen kamen in der Vergangenheit andere Studien über die früheren Zustände in Kinderheimen. So hatte etwa die DAK Gesundheit die Geschichte der Kinderkuren von einem Historiker aufarbeiten lassen. (di)