Tokio zwischen stoischer Ruhe und Zwangspausen in Kliniken
Das Ausmaß der radioaktiven Belastung in Tokio war für den Arzt Dr. Masato Ueki am Dienstag nur eine von vielen Unbekannten. Nahezu unplanbar sind derzeit Praxis- und Klinikbetrieb in der Stadt.
Veröffentlicht:TOKIO. Dieser Dienstag war für den im Tokioter Stadtteil Setagaya niedergelassenen Allgemeinarzt Dr. Masato Ueki kein gewöhnlicher Arbeitstag. Es ist der erste Dienstag nach der verheerenden Naturkatastrophe, die am vergangenen Freitag den Nordosten Japans heimsuchte - und mittlerweile selbst große Teile des Tokioter Alltags im wahrsten Sinne des Wortes lahmlegt.
Aus medizinischer Sicht sind es zwei, drei Hauptsorgen, die ihn derzeit plagen, wie er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" am späteren Nachmittag Ortszeit erzählt.
An erster Stelle rangiert in diesem Moment natürlich das ungewisse Ausmaß der radioaktiven Strahlung für die Region Kanto, zu der neben Tokio auch das benachbarte Yokohama, die zweitgrößte Stadt Japans, zählt. 35 Millionen Menschen bevölkern den Ballungsraum.
"Im Vergleich zu den Betroffenen in Fukushima und der unmittelbaren Umgebung des Kernkraftwerks sind wir hier in Kanto nicht so stark von der Strahlung betroffen", räumt er ein. Beruhigen kann diese Tatsache jedoch nicht.
Je nach Windrichtung kann sich die Strahlungsintensität schnell ändern. Wie die Bevölkerung im Fall der Fälle mit Jodtabletten versorgt werden soll, und ob er als Arzt dabei auch eine Rolle spielt? Das sind im Moment ebenfalls noch unbeantwortete Fragen.
"Die Regierung hat in Tokio noch nicht mit der Verteilung der Jodtabletten begonnen", ist das einzige, was Ueki definitiv weiß. Alles andere sei Spekulation.
Spekulation ist inzwischen auch die Basis für sein tägliches Arbeiten als Arzt, wie Ueki mit Gefasstheit sagt. Durch die geplanten, mehrstündigen Stromsperren, die auch Tokio betreffen, sei kein normaler Klinikbetrieb mehr möglich.
"Die Zeiträume für die betreffenden Stadtgebiete werden erst abends um zehn Uhr für den nächsten Tag bekannt gegeben", erläutert Ueki. So seien an den meisten Kliniken alle nicht dringend notwendigen Operationen abgesagt worden.
Auch er sei gerade auf dem Rückweg von einer Klinik, an der er - normalerweise - immer dienstags anästhesistisch tätig sei. Erschwerend komme hinzu, dass die Logistik im ganzen Land eingeschränkt sei.
So fehle es in vielen Krankenhäusern inzwischen an medizinischem Material, wie zum Beispiel künstlichen Hüften. In einer Klinik konnte aber auch ein Patient mit Beinbruch mangels Material nicht operiert werden, wie er von Kollegen erfahren hat.
In seiner Kamiuma Clinic genannten Praxis rechnet Ueki so schnell nicht mit Material-Engpässen. "Aber auch ich kann aufgrund der Stromsperren Patienten keine verbindlichen Termine mehr vergeben."