Porträt
Ukrainische Ärztin: Ein wenig Sicherheit nahe der Front
Wie eine Frauenärztin in Kramatorsk mit ihren Patientinnen in einer finsteren Zeit ausharrt. Und ihnen dabei viel Hoffnung gibt. Ein Besuch in einem Krankenhaus.
Veröffentlicht:Kramatorsk. Der Weg zu Oksana führt an Trümmern vorbei. Ein Einschlag verwandelte im September 2022 einen Teil des Krankenhaus-Trakts in eine Ruine. Zuvor heißt es, nach rechts in ein schmales Treppenhaus in dem grauen Hausblock abbiegen.
Hinter der Metalltüre spenden wenige Glühbirnen ein schummriges Licht. Ab und an geraten sie ins Flackern. In die Fensterrahmen sind Sperrholz-Platten genagelt. Die Explosionswelle des Einschlags hatte die Scheiben splittern lassen. Über glatte Betonstufen geht es nach oben. Dann eine weiß gestrichene alte Holztüre geöffnet: angekommen in der Gynäkologie mit Pränataldiagnostik als wichtigem Schwerpunkt.
Leben und arbeiten in einer zerstörten Stadt
Das Grollen der Artillerie ist oft zu hören
Es ist frisch im Gebäude, auch im Zimmer der Gynäkologin. Im Flur wärmen Elektroheizer zwei Pflegerinnen. Ein Stuhl zum Blutdruckmessen ist dort im Wärmebereich ebenfalls aufgebaut. Ärztin Oksana ist offensichtlich wenig kälteempfindlich.
„Noch vor einigen Tagen hätten Sie kommen sollen. Da ging die Heizung überhaupt nicht“, erklärt sie dem Journalisten mit einem Lächeln. Fast drei Jahre vollumfassende Invasion Russlands auf die Ukraine haben die Menschen das Erdulden gelehrt. Krieg herrscht im Osten des Landes schon seit zehn Jahren.
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„Aber dass es so schlimm wird, das wollten und konnten wir uns nicht vorstellen“, sagt sie. Die Front ist von Kramatorsk gut 20 Kilometer entfernt. Das Grollen der Artillerie ist in der Stadt oft zu hören. Der langgezogene Klang der Sirenen, der gar kein Ende nehmen will.
Der Ton ist zum alltäglichen Mehrfach-Begleiter geworden. „Ich verfolge auf dem Smartphone mit, was an der Front geschieht“, so die 50-Jährige. „DeepState“, heißt eine der Seiten, die Militärblogger mit neuen Informationen füttern.
Vom Vormarsch der russischen Truppen im Donbas liest sie dort. Er bereitet der Medizinerin immer mehr Sorgen. Mariupol, Bachmut, Awdijiwka, Torezk, schon so viele Städte im Donbas haben die russischen Angreifer völlig zerstört.
Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen sind dabei oft Ziele: Seit Beginn der vollumfassenden Invasion auf die Ukraine zerstörten oder beschädigten die russischen Angreifer 1.685 Gesundheitseinrichtungen. 551 wurden bereits wieder aufgebaut, so die Statisitiken der ukrainischen Behörden (Stand Oktober 2024). „Ich hatte Angebote, nach Bulgarien oder Deutschland zu kommen.
Nach dem Erlernen der Sprache dort zu praktizieren. Aber meine Tochter und ich bleiben, solange es halbwegs sicher ist“, betont die Ärztin.
Sie sieht es als ihre Pflicht an, zu bleiben
Halbwegs sicher ist dabei Definitionssache. Vor allem das Industriegebiet wird immer wieder mit Raketen beschossen. Aber auch auf das Zentrum gab es immer wieder Angriffe. Ein Einschlag traf im Sommer 2023 ein Café: acht Tote, darunter drei Kinder.
Einige Restaurants und Supermärkte haben geöffnet. Dazu Shops mit Militärartikeln für die Soldaten von der nahen Front. Aber das Gros der Menschen hat Kramatorsk verlassen. Die Stadt ist still geworden. Vor der Invasion lebten hier rund 150.000 Menschen. Vernagelte Fenster und Schaufenster in den Häusern, die in der Stadtmitte oft noch aus Stalins Zeiten stammten. Gerade im Winter gibt Kramatorsk ein Bild von drückender und kalter Leere ab.
„Als Ärztin sehe ich es als meine Pflicht an zu bleiben. Wir müssen eine medizinische Grundversorgung aufrecht erhalten“, sagt Oksana. Für Klientinnen wie Yulia, die im siebten Monat ist und mit unübersehbarem Babybauch zur Untersuchung kommt. Ihr Mann dient in der Armee und gilt seit vier Monaten als im Kampf vermisst. Die 32-Jährige hat noch zwei Kinder aus der ersten Ehe.
„Vergangenes Jahr sind wir für einige Monate in den Westen der Ukraine geflohen. Aber mit dem, was ich verdient habe, konnten wir kaum mehr als die Miete zahlen“, erzählt die werdende Mutter. In Kramatorsk haben sie wenigstens ein kleines Häuschen am Stadtrand. Mit einem Garten, in dem die Familie Gemüse anbauen kann. „Dazu verkaufe ich Gebäck in einem Kiosk und gehe ab und an putzen. So geht das schon. Jobs sind in Kramatorsk selten geworden. Es hat ja so viel geschlossen“, erklärt Yulia.
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Jetzt wartet sie jeden Tag auf eine Nachricht von oder über ihren Mann. Hofft, dass diese ihr nicht den Boden unter den Füßen wegzieht. In russischer Gefangenschaft hat Misshandlung und Folter System. Auch die Ermordung von Gefangenen.
Viele können es sich nicht leisten, die Stadt zu verlassen
Yulia versucht, nicht daran zu denken. Aber die gesamte Situation nimmt sie mit. „Bei meinen ersten zwei Schwangerschaften habe ich viel zu meinen Kindern gesprochen, als sie in meinem Bauch waren. Schöne, liebe Geschichten. Ich finde dazu heute kaum noch die Kraft. Sagen Sie allen Frauen in Deutschland, die Mutter werden. Genießt die Zeit des Friedens“, bittet Yulia.
Entbinden will sie in Charkiw. Gut drei Stunden mit dem Auto entfernt. In Kramatorsk ist der Kreißsaal nicht mehr in Betrieb. Es gibt keine Säuglingsstation mehr. Die nächste Einrichtung für Mütter mit Säuglingen liegt in Slowjansk, rund zehn Kilometer entfernt. „Und ich freue mich auf meinen jüngsten Sohn. Sein Vater hat schon einen Namen für ihn gewählt: Matviy. So soll er heißen“, gibt sie den Journalisten zum Abschied mit.
Ein Arzt berichtet von seinen Erfahrungen
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Für Frauen wie Yulia opfert Oksana viel. Für werdende Mütter und chronisch Kranke. „Oft können sie es sich nicht leisten, die Stadt zu verlassen. Sie haben keine Verwandten in anderen und sicheren Teilen der Ukraine. So bleiben sie“, erklärt die 50-Jährige. Als in der Frontstadt Lyman eine Gynäkologin fehlte, half die stellvertretende Chefärztin dort aus. Sie riskierte viel dabei. Die Stadt stand unter starkem Beschuss.
Regelmäßig fährt sie jetzt mit einer mobilen Klinik bis nahe an das Kampfgebiet. „Das trifft mich als Mensch und Ärztin oft hart, was ich dort sehe“, sagt die 50-Jährige. Dann berichtet sie davon, wie sie in Dörfern Frauen untersucht, die aufgrund des Kriegs nicht mehr zu Nach- oder Voruntersuchungen kamen.
„Die Folge: Brustkrebs im Endstadium zum Beispiel. In einem Stadium, in dem nichts mehr zur Heilung getan werden kann. Wertvolle Lebenszeit, die vergeudet wurde. Das habe ich zu oft gesehen“, sagt die Medizinerin. Ihre feste Stimme wird leise. In ihrem Gesicht ist zu lesen, wie sie mit den Tränen kämpft.
Mobile Arztpraxis rettet Leben
„Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen unsere mobile Gesundheitstation. Sie ist unser ganzer Stolz“, sagt Oksana dann. Die steht abfahrbereit zwischen einem Storch mit Baby aus Beton und dem Krankenhaustrakt. Eine rollende Arztpraxis, inklusive gynäkologischem Stuhl. „Ohne internationale Unterstützung hätten wir diesen Wagen nicht. Er rettet Leben“, sagt die Ärztin.
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Sie befürchtet, dass die Ukraine aus dem Fokus gerät. Ohne Unterstützung, zum Beispiel durch Mittel der Europäischen Union, könnte auch ihr mageres Gehalt nicht gezahlt werden.
Dann heult die Sirene auf. In den Luftschutzraum? Oksana schüttelt den Kopf und blickt auf die Uhr. „Nein, ich habe gleich eine Online-Konsultation“, sagt sie und geht mit schnellen Schritten zum schmalen Treppenhaus.