Forschung zu Lebensqualität
Was Hippotherapie bewirken kann
Der Lilly Quality of Life Preis wird jedes Jahr für herausragende Arbeiten in der Lebensqualitätsforschung vergeben. Welchen Einfluss Therapeutisches Reiten auf Patienten mit Zerebralparese hat, wurde von Forschern erstmals umfassend evaluiert – eine preiswürdige Arbeit.
Veröffentlicht:Bad Homburg. „Das Paradies der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“, heißt es in einem Gedicht Friedrich von Bodenstedts. Die Segnungen des Therapeutischen Reitens sind beinahe ebenso sprichwörtlich, doch der wissenschaftliche Nachweis, dass die Hippotherapie einen tatsächlichen Einfluss auf die Lebensqualität von Patienten ausübt, ist nur unter großem Aufwand zu leisten.
Professor Martin Häusler, Leiter der Sektion Neuropädiatrie und Sozialpädiatrie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Aachen, und seine Kollegin Dr. Ute Deutz, Oberärztin am Aachener Klinikum, haben den Nachweis erbracht und sind dafür mit dem Lilly Quality of Life Preis 2019 ausgezeichnet worden.
Häusler und Deutz sowie eine ganze Reihe weiterer Forscher haben sich in einer randomisierten, offenen Cross-over-Studie mit dem Einfluss von Hippotherapie auf Motorik und Lebensqualität von Kindern mit bilateraler Zerebralparese befasst. Hippotherapie ist eine spezielle Form der Physiotherapie, bei der sich zertifizierte Therapeuten des Hilfsmittels Pferd bedienen, um dem Risiko dauerhafter muskuloskelettaler Schäden bei Zerebralparese entgegenzuwirken. Hier gab es bis dato eine sehr begrenzte Datenlage.
Hippotherapie über 16 Wochen
Eingeschlossen in die Studie wurden 73 Kinder und Jugendliche, die im Mittel über die einjährige Studiendauer 16 Wochen lang einmal wöchentlich Hippotherapie erhielten. 47 Probanden durchliefen die gesamte Studie. Zwar zeigte sich vor allem bei Kindern mit besserer Motorik und erhaltenem Gehvermögen eine signifikante Verbesserung der Geh-, Lauf- und Springfähigkeiten, entgegen den Erwartungen wurde aber keine nachweisbare Verbesserung der Lebensqualität gemessen.
Im Rahmen nachfolgender Analysen kam jedoch heraus, dass die Lebensqualität der Kinder, die die Studie vorzeitig abbrachen, bereits zum Studienbeginn schlechter eingeschätzt wurde als die Lebensqualität jener, die die Studie abschlossen. „Gerade für Kinder mit schlechterer Lebensqualität wäre aber ein deutlicher Gewinn an Lebensqualität sowohl möglich als auch nötig gewesen“, lautet das Fazit der Autoren.
Häusler und Deutz vermuten, dass die betroffenen Familien derart überlastet sind, dass sie den durch die Studie bedingten Zusatzaufwand nicht kompensieren konnten, und fordern daher eine intensivere Unterstützung gerade von Familien mit schwerbehinderten Kindern im Alltag, um jenen eine adäquate Förderung zu ermöglichen.
34 Forscher und Forschergruppen haben sich 2019 um den Quality of Life Preis beworben. Die meisten Einreichungen erhielt die Jury aus den Bereichen Onkologie, Herz/Thorax, ZNS und Mundgesundheit.
Wie Dr. Tatjana Rößler bei der Preisverleihung ausführte, haben sich in diesem Jahr 34 Forscher und Forschergruppen um den Lilly Quality of Life Preis beworben; das sind ebenso viele wie 2017 und neun weniger als im vergangenen Jahr.
Die meisten Einreichungen kamen danach aus den Bereichen Onkologie, Herz/Thorax, ZNS und Mundgesundheit. Daten zur Lebensqualität, so Rößler, fänden inzwischen in allen medizinischen Disziplinen Berücksichtigung und beeinflussten beispielsweise sämtliche Therapieentscheidungen in der Dermatologie und Neurologie.
Mehr Lebensqualität mit neuer Lunge
Für eine ebenso spannende wie aktuelle Forschungsarbeit wurde Professor Lutz Götzmann von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Bad Segeberg mit dem Lilly Quality of Life Preis 2019 geehrt. Titel seiner Arbeit: „Transplantation experience as a predictor for quality of Life during the first six months after lung transplantation“.
Mittels standardisierter Fragebögen, Interviews und einer visuellen (piktorialen) Darstellung des psychischen Erlebens begaben sich Götzmann und Kollegen auf die Spur psychischer Verarbeitungsprozesse, die die Grundlage für die spätere Lebensqualität der Patienten nach einer Lungentransplantation bilden. Dabei untersuchten sie bei 40 Probanden, ob die Beziehung des Selbst zur noch fremden Lunge, zum unbekannten Spender und zur Erfahrung der Transplantation als Prädiktor ihrer Lebensqualität in den ersten sechs Monaten nach der Transplantation dienen können.
Tatsächlich stieg die Lebensqualität der lungentransplantierten Patienten schon in den ersten drei Monaten signifikant und blieb später stabil. Je kleiner die gefühlte Distanz zwischen dem Selbst und der neuen Lunge und je größer die Distanz zwischen dem Selbst und der Transplantationserfahrung, desto höher die empfundene Lebensqualität. Anders ausgedrückt: Je besser es Patienten gelingt, das neue Organ zu akzeptieren und die zum Teil traumatische Transplantationserfahrung zu verarbeiten, desto mehr profitieren sie vom Eingriff.
Mundgesundheit im Fokus
Einen weiteren Quality of Life Preis erhielten Professor Dirk Ziebolz und Dr. Gerhard Schmalz von der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Uniklinikum Leipzig für eine Studie zur mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität (MLQ) von Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen. Chronisch Erkrankte gelten als Risikopatienten in der zahnärztlichen Praxis und bedürfen einer frühzeitigen zahnärztlichen Sanierung sowie einer dauerhaften risikoorientierten Nachsorge.
In vier klinischen Querschnittsstudien wurden Patienten vor sowie nach einer Leber- und einer Lungentransplantation sowie Patienten mit Spondylarthropathie und solche unter Hämodialyse einbezogen. Erfasst wurden Teilaspekte wie die orale Funktion, Schmerz, Ästhetik und psychosoziale Parameter.
Zwar wiesen alle vier Probandengruppen einen insuffizienten MLQ auf, aber während sich Organtransplantierte in ihrer mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität nicht beeinträchtigt sahen, hatten Patienten mit Spondylarthropathie eine signifikant reduzierte MLQ.
Der Zusammenhang zwischen MLQ und Erkrankungsparametern zeigte sich etwa in Gelenkschmerzen und Morgensteifigkeit. Bei Dialysepatienten empfanden solche mit kurzer Dialysedauer die Einschränkung ihrer MLQ am stärksten.