Sicherheitsberatung

"Wir setzen auf Betroffenheit!"

Markus Böhncke, Sicherheitsberater der Bremer Polizei, erklärt im Interview mit der "Ärzte Zeitung", wann junge Leute "Stopp" sagen sollten.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Böhncke, Sie waren über zehn Jahre lang in der Unfall-Ermittlungseinheit der Bremer Polizei und sind heute Sicherheitsberater bei der Bremer Polizei. Welcher Unfall, an dem Jugendliche beteiligt waren, ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Markus Böhncke

Markus Böhncke

© Polizei Bremen

Markus Böhncke: Ich erinnere mich an einen schweren Unfall auf der Ritterhuder Heerstraße in Bremen. Da ist ein jugendlicher Fahrer morgens um vier am Steuer seines Autos eingeschlafen. Er war zwar nicht alkoholisiert, wie sich später heraus stellte. Aber total übermüdet. Seine drei Mitfahrer waren betrunken. Das Auto mit dem Schlafenden am Steuer ist 300 Meter gerollt, gegen einen Mast geprallt und hat sich danach in der Luft gedreht. Alle vier Insassen wurden aus dem Auto geschleudert.

Die Handys, Portemonnaies und weiteren Utensilien haben wir rund um den Unfallort eingesammelt. Drei der jungen Leute wurden schwer verletzt. In solchen Fällen müssen die Rettungsassistenten und Notärzte vor Ort entscheiden, wen unter den Verletzten sie zuerst behandeln – meistens nicht die, die schreiend im Graben liegen, sondern die, die nichts sagen. Für uns von der Polizei war dann in diesem Fall auch noch abzuklären, ob hier, wenn nicht Alkohol, sondern doch vielleicht Betäubungsmittel im Spiel gewesen sein könnten. Wenn man dann nach so einem Unfall zurück auf der Wache ist, da fragt man sich schon, was man da eben gesehen hat.

Nehmen solche schweren Unfälle in Bremen eher zu oder ab?

Genaue Zahlen zitieren wir ungern, wie geben eher Tendenzen an. So können wir sagen, die Unfälle in Bremen, an denen 15- bis 24-Jährige beteiligt sind, gehen zurück. Das Auto ist nicht mehr so das Statussymbol, wie früher. Es werden in den städtischen Bereichen also weniger Fahrzeuge von dieser Personengruppe genutzt/zugelassen. Allerdings – wenn Autos gekauft werden, dann eher billigere mit schlechteren passiven Sicherheitssystemen. So passieren zwar weniger Unfälle, aber sie sind genauso schwer wie früher. In den ländlichen Gebieten sieht es etwas anders aus. Unter anderem deshalb, weil die großen Diskotheken vor den Toren der Städte liegen. Wenn die jungen Leute dann trinken, passieren die Unfälle häufiger auf Landstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften.

Trotzdem sind Aktionen wie P.A.R.T.Y. nötig?

Auf jeden Fall! Wir wissen, dass wir die Jugendlichen mit diesem Präventionsmodul erreichen. Vor allem die plastischen Schilderungen der Unfallopfer beeindrucken die jungen Leute. Sie erreichen die Jugendlichen an einer Stelle, wo wir sie als Polizei nicht erreichen, da sie unsere polizeilichen Veranstaltungen nicht besuchen. Kurz gesagt: Wir müssen auf die Zielgruppe zugehen. Die Unfallopfer werden von den behandelnden Ärzten angesprochen – und nehmen freiwillig am P.A.R.T.Y.-Tag teil. Wir setzen auf den Moment der Betroffenheit. Die Jugendlichen sollen erkennen: Leichtsinn hat Folgen.

Als Polizei am Unfallort ermitteln Sie aber nicht in erster Linie den Schuldigen?

Nein, die Fachdienststellen bereiten ein sogenanntes Vermeidungs-Gutachten vor. Das ist die Standardprozedur bei schweren Verkehrsunfällen in Bremen. Immer bei tödlichen, sehr schweren Unfällen oder nach solchen, an denen Kinder unter 14 und Ältere über 69 Jahre beteiligt waren. Für diese Personengruppen gilt der Vertrauensgrundsatz nicht. Wir nehmen also den Sachverhalt auf und sichern die Beweise und stellen uns die Frage: Wer hätte den Unfall vermeiden können? Das sind Fragen, die auch vor Gericht wichtig werden können. Den Jugendlichen wird beim P.A.R.T.Y.-Tag verdeutlicht, dass man Unfälle sehr früh vermeiden kann. Zum Beispiel, indem man rechtzeitig für seine sichere Rückfahrt aus der Disco Sorge trägt. Wann fährt der Bus, die Bahn? Wer kann mich abholen? Nicht mit leichter Kleidung aufs Motorrad steigen. Nicht zu Betrunkenen ins Auto steigen! Keine Handys im Auto. Die jungen Leute sollen lernen, sich früh solche Vermeidungsstrategien zurechtzulegen. Und wenn dann doch jemand im Auto "wilde Sau" spielt, dann muss es heißen: Stopp! Das will ich nicht! Wir steigen aus und nehmen ein Taxi.

Lesen Sie dazu auch: Präventionsprogramm Alkohol : Damit Jugendliche klarer sehen

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