Kommentar zu Corona-Fallzahlen
Zweifelhaftes Urlaubsidyll Türkei
Die offizielle Zahl der Neuinfektionen in der Türkei spiegele nicht die Wirklichkeit wieder, sagt der Chef der dortigen Ärztevereinigung. Dies schürt Skepsis am Hygienekonzept der gerade für risikofrei erklärten Urlaubsregion.
Veröffentlicht:Am Dienstag hebt das Auswärtige Amt die Reisewarnung für die vier beliebtesten Urlaubsregionen auf, am Donnerstag zweifelt der oberste türkische Ärzte-Vertreter gegenüber der Deutschen Presse-Agentur massiv die offiziellen Corona-Fallzahlen des Landes an. Das kommt zur Unzeit, weil damit natürlich auch Zweifel an den von der Regierung Erdogan versprochenen Hygienekonzepten aufkommen, die – angeblich – zur Aufhebung der Reisewarnung von deutscher Seite geführt haben.
Aber überraschen können uns die Aussagen von Professor Sinan Adiyaman, Chef der Ärztevereinigung TTB, eigentlich nicht. Blicken wir zurück: Noch bis Anfang/Mitte März behauptete die türkische Regierung ganz offiziell, Corona gebe es im Land überhaupt nicht. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem sich das Nachbarland Iran mit 500 Kilometern gemeinsamer Grenze bereits zu einem der weltweit stärksten Corona-Hotspots entwickelt hatte. Wenig glaubwürdig!
„Nicht die Wirklichkeit“
Türkischer Ärzte-Chef zweifelt offizielle Corona-Fallzahlen an
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan verkündete ebenfalls noch im März in bester Trump- und Bolsonaro-Manier kraftmeiernd „kein Virus ist stärker als die Türkei!“. Er hat zwar früher als seine Kollegen in den USA und Brasilien die Reißleine in Sachen Corona-Leugnen gezogen.
Glaubwürdig wirkten die offiziellen Fallzahlen dennoch nie – schon alleine des Umstands wegen, dass Erdogan die Führung der Statistikbehörde mit Leuten aus seinem nächsten Umfeld besetzt hat und seitdem alle Zahlen aus dem Haus für ihn positive Entwicklungen aufzeigen.
Angesichts der Verhaftung Zehntausender Erdogan unliebsamer Menschen in den vergangenen Jahren ist der mutige Widerspruch des Ärzte-Chefs bemerkenswert. Hoffen wir, dass er nicht auch in Kürze einkassiert wird – mit Erdogans Allheilanklage „Verbreitung von Terrorpropaganda“.
Schreiben Sie dem Autor: christoph.barkewitz@springer.com