Deutschland

20.000 vermeidbare Sepsis-Todesfälle pro Jahr

Die Sepsis-Sterblichkeit ist in Deutschland höher als in anderen Industrieländern, warnt die Sepsis-Stiftung – und beklagt ein Totalversagen bei Politik und Selbstverwaltung.

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Verdacht auf Sepsis? Leider werden viele Fälle in Deutschland noch immer zu spät erkannt.

Verdacht auf Sepsis? Leider werden viele Fälle in Deutschland noch immer zu spät erkannt.

© Zerbor / stock.adobe.com

Berlin. Versagen bei der Prioritätensetzung und der Translation wissenschaftlicher Erkenntnisse hat der Vorsitzende der Sepsis-Stiftung, Professor Konrad Reinhart von der Charité, den Verantwortungsträgern im Gesundheitswesen vorgeworfen. Im Fokus der Kritik stehen vor allem Krankenhäuser und der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA).

Jährlich ließen sich 15000 bis 20000 Todesfälle aufgrund von Sepsis in Deutschland vermeiden, so Reinhart am Donnerstag anlässlich des Sepsis-Tages. Die Sterblichkeit bei Sepsis in Deutschland liegt mit 42 Prozent weit über der anderer führender Industrieländer und ist in der Vergangenheit nur geringfügig gesunken.

Aufgrund verbindlicher Qualitätssicherung haben andere Länder bedeutende Erfolge erzielt: So liegen die Mortalitätsraten in Australien bei 18,5, in England bei 32 und in den USA bei 23 Prozent und wurde innerhalb weniger Jahre teilweise halbiert.

„Mittelalterliche Entscheidungsprozesse“

Als Ursachen nennt Reinhart eine falsche politische Prioritätensetzung. Ein Grund seien vor allem die „mittelalterlichen Entscheidungsprozesse“ in korporatistischen Verbünden von Interessenvertretungen im GBA.

  • Als häufigste Todesursache in Kliniken – jährlich 60000 – komme Sepsis in der Gesundheitsberichterstattung des Bundes nicht vor. Lange Zeit sei Sepsis nur unter dem Teilaspekt von Nosokomialinfektionen und Antibiotikaresistenzen mit 1000 bis 2000 Todesfällen beachtet worden. Die Aufklärung der Bevölkerung sei unzureichend: Wer auf der Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung das Stichwort „Sepsis“ eingibt, erhält die Rückmeldung, es gebe keine Ergebnisse. 80 Prozent aller Sepsisfälle entstünden jedoch außerhalb des Krankenhauses und bedürften unbedingt einer unverzüglichen Diagnostik und Therapie.
  • Die Überversorgung mit Krankenhauskapazitäten gehe einher mit fehlender Exzellenz, mangelhafter Qualitätssicherung und fehlender Transparenz. Die immer noch „paramilitärische“ Organisation von Kliniken verhindere eine evidenzbasierte Medizin durch Chefarzt-Eminenzen, als deren Folge 30 bis 40 Prozent des ärztlichen Nachwuchses den Beruf oder zumindest Deutschland verlassen.
  • Erst 2017 habe der GBA auf Antrag der Patientenvertretung die Entwicklung einer Qualitätssicherungsrichtlinie Sepsis beschlossen. Es werde noch Jahre bis zur Umsetzung dauern. In New York habe dieser Prozess wenige Monate benötigt.
  • Dr. Franz Brunsmann, Patientenvertreter im GBA-Unterausschuss Qualitätssicherung, bestätigte die lange Dauer von der Initiierung einer Qualitätssicherung bis zur Realisierung. Ein Beschluss über das Inkrafttreten sei in zwei Jahren zu erwarten. Weitere Zeit benötige die Umsetzung durch die Krankenhäuser. Brunsmann: „Das ist vergleichsweise schnell. Der GBA hat durchaus seine Verantwortung wahrgenommen.“

Mehr Aufklärung und Prävention gefordert

Der Intensivmediziner Professor Luregn Schlapbach (Zürich/Queensland) hält es aufgrund seiner Erfahrungen in Australien für notwendig, umfangreiche Maßnahmenpakete zu schnüren: verpflichtende Dokumentation von Diagnosen, Leistungen und Kosten durch Kliniken, Informations-und Präventionskonzepte für die breite Öffentlichkeit zur frühen Erkennung von Sepsis und Einbeziehung der Rehabilitation in eine komplette Versorgungskette.

Mehr Aufklärung und Prävention im Zusammenhang mit Sepsis wünscht sich auch die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Professor Claudia Schmidtke. „Eine möglichst frühe Diagnose und eine schnelle Therapie sind der Schlüssel, um eine Sepsis möglichst erfolgreich behandeln zu können“, teilte sie anlässlich des Welt-Sepsis-Tages am Sonntag (13. September) mit.

Jede Infektion im Körper, aber auch eine zunächst banal scheinende Verletzung könne eine Sepsis auslösen, betonte Schmidtke. „Ein erhöhtes Risiko haben Kinder, ältere und immungeschwächte Menschen.“ Die Patientenbeauftragte wies darauf hin, dass bei der Sepsis-Prävention die Grippe- und die Pneumokokken-Impfung eine wichtige Rolle spielten. (HL/ths)

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