Versorgung neu gestalten
AOK und Kliniken kämpfen gemeinsam gegen Lagerdenken
Die Versorgungslandschaft steht nach der Bundestagswahl vor Veränderungen. Leistungserbringer und Kostenträger sind dafür eine Koalition eingegangen und betreiben gemeinsam Lobbyarbeit.
Veröffentlicht:Berlin. Reformen bei den Krankenhausstrukturen liegen in der Luft. Alle derzeit im Bundestag vertretenen Parteien kündigen sie in ihren Wahlprogrammen an. Jetzt schließen sich selbst Leistungserbringer und Kostenträger zusammen, um einen Umbau der Krankenhauslandschaft zu fordern.
Am Freitag haben der AOK-Bundesverband und die Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) das gemeinsame Positionspapier „Jenseits des Lagerdenkens“ veröffentlicht. Die AKG vertritt nach eigenen Angaben 25 Krankenhäuser mit zusammen 120.000 Beschäftigten und 1,8 Millionen Patienten im Jahr. Dazu gehören auch Dickschiffe wie der Berliner Vivantes-Konzern.
Ziele sind die Einteilung der Krankenhäuser nach Versorgungsstufen, eine klare Aufgabenzuweisung und die Umwidmung von kleineren Häusern in ambulante Versorgungseinrichtungen mit Übernachtungsmöglichkeiten.
Nicht jedes Krankenhaus bleibt am Netz
„Es ist nicht realistisch, alle vorhandenen Krankenhausstrukturen zu erhalten“, sagte der Vorsitzende der AKG Dr. Matthias Bracht am Freitag in Berlin. Nicht alle Krankenhaus-Betten sollten weiter mit der Gießkanne finanziert werden. Es sei nicht mehr zeitgemäß, in den Strukturen zu denken, die heute vorhanden seien.
Nötig sei, vom Bedarf auszugehen und die Versorgungssituation jeweils regional zu betrachten. „Es wird Regionen geben, in denen die Krankenhäuser auch ambulante Angebote machen, und Regionen, in denen Versorgungsanteile von den Krankenhäusern auf die niedergelassenen Ärzte übergehen“, sagte Bracht.
Es gebe schlecht ausgestattete Krankenhäuser, die zudem noch zu wenige Ärzte hätten, so der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch. Hier müsse man kreativ werden. „Regionalisierung nimmt die Komplexität aus dem Problem“, sagte Litsch.
Aufschlag im Koalitionsvertrag
Die kommende Koalition solle „offen, klar und ehrlich“ eingestehen, dass Deutschland an dieser Stelle eine Weiterentwicklung brauche, meinte Bracht. Es wäre gut, wenn schon im Koalitionsvertrag angesprochen werde, dass es nicht um die einzelnen Sektoren gehe, sondern um die Versorgung an und für sich, ergänzte Litsch.
Wahlprogramme und Forderungen
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Die neue Koalition solle so früh wie möglich Aufträge an den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) formulieren, zum Beispiel zu neuen Mindestmengenregelungen und Leistungskomplexen. Es gebe zum Beispiel zu viele Kliniken, die weniger als 20 Brustkrebsoperationen vornähmen. Derzeit gibt es acht Mindestmengenregelungen, Brust-Op zählen nicht dazu.
Steuerungsinstrument Mindestmengen
Mindestmengen sehen beide Partner als wichtiges Instrument, um Strukturveränderungen auszulösen. Sie führten zu Umverteilung von Fällen zwischen Kliniken, sagte Litsch. Das wiederum diene der Patientensicherheit, schone aber auch die begrenzten Personalressourcen.
Voraussetzung sei eine Neuausrichtung der Investitionskostenfinanzierung durch die Länder. Sie sollten in Zukunft die Basis- und Notfallversorgung sicherstellen, danach aber „qualitätsorientierte Leistungskonzentration“ an geeigneten Standorten fördern.
An dieser Stelle könnten dann ergänzende Initiativen des Bundes ansetzen, so Litsch. „Versorgungsplanung und Sicherstellung sollten sich nicht mehr an Sektorengrenzen, Arztsitzen und Bettenzahlen orientieren, sondern an Versorgungsaufträgen und Leistungskomplexen“, meint der AOK-Bundesverbands-Chef.
Das Fünf-Punkte-Papier „Jenseits des Lagerdenkens“
1. Finanzierung: Knapp vier Milliarden Euro im Jahr fehlen den Krankenhäusern an Investitionsfinanzierung durch die Länder. Eine Neuaufstellung der Investitionskostenfinanzierung soll Leistungskonzentration an geeigneten Standorten fördern.
2. Strukturvorgaben. Die Finanzierung der Basis- und Notfallversorgung soll bei den Ländern bleiben. Der GBA soll dafür die Strukturvorgaben und Mindestmengenregelungen aufsetzen. Die Länder sollten dies bei der Krankenhausplanung berücksichtigen.
3. Bundesweites Monitoring. Nicht alle Krankenhäuser haben gleichermaßen an der Bewältigung der Pandemie mitgewirkt. 90 Prozent der COVID-Patienten seien von nur der Hälfte der Krankenhäuser versorgt worden. Große Krankenhäuser haben in den Regionen die Steuerung von Patienten, Kapazitäten und Material übernommen. Dabei seien sinnvolle Strukturen der Zusammenarbeit entstanden, heißt es in dem Papier. Um dafür weitere Grundlagen zu schaffen, soll ein bundesweites Monitoring der Krankenhauskapazitäten analog des DIVI-Intensivregisters aufgestellt werden.
4. Ambulantes Potenzial nutzen. Geeignete Krankenhausstandorte sollen in Versorgungseinrichtungen mit Übernachtungsmöglichkeiten umgewandelt werden. Dafür bedarf es eines geeigneten intersektoralen Vergütungssystems und eines Ordnungsrahmens mit regionalen Vertragsgrundsätzen, Qualitätssicherung und Bedarfsplanung.
5. Vorräte anlegen. Beatmungsgeräte, Schutzkleidung und Arzneimittel sollen in ausreichender Menge vorgehalten werden, um flexibel auf Krisen und Lieferengpässe reagieren zu können. Dafür bieten sich große kommunale Krankenhäuser und Universitätskliniken an. Unabhängig von Krankenhäusern geführte Vorratslager verursachten dagegen lediglich logistische Herausforderungen und Zusatzkosten.