Versorgung neu gestalten

AOK und Kliniken kämpfen gemeinsam gegen Lagerdenken

Die Versorgungslandschaft steht nach der Bundestagswahl vor Veränderungen. Leistungserbringer und Kostenträger sind dafür eine Koalition eingegangen und betreiben gemeinsam Lobbyarbeit.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Erweiterungs- Neubau am Klinikgelände des „Vivantes Klinikums Neukölln“ im August 2021

Baustelle Krankenhaus: Die Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) fordert zusammen mit der AOK einen Umbau der Krankenhauslandschaft. (Archivbild: Erweiterungs- Neubau am Klinikgelände des „Vivantes Klinikums Neukölln“ im August 2021)

© Robert Grahn / ZB /euroluftbild.de / picture alliance

Berlin. Reformen bei den Krankenhausstrukturen liegen in der Luft. Alle derzeit im Bundestag vertretenen Parteien kündigen sie in ihren Wahlprogrammen an. Jetzt schließen sich selbst Leistungserbringer und Kostenträger zusammen, um einen Umbau der Krankenhauslandschaft zu fordern.

Am Freitag haben der AOK-Bundesverband und die Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) das gemeinsame Positionspapier „Jenseits des Lagerdenkens“ veröffentlicht. Die AKG vertritt nach eigenen Angaben 25 Krankenhäuser mit zusammen 120.000 Beschäftigten und 1,8 Millionen Patienten im Jahr. Dazu gehören auch Dickschiffe wie der Berliner Vivantes-Konzern.

Ziele sind die Einteilung der Krankenhäuser nach Versorgungsstufen, eine klare Aufgabenzuweisung und die Umwidmung von kleineren Häusern in ambulante Versorgungseinrichtungen mit Übernachtungsmöglichkeiten.

Nicht jedes Krankenhaus bleibt am Netz

„Es ist nicht realistisch, alle vorhandenen Krankenhausstrukturen zu erhalten“, sagte der Vorsitzende der AKG Dr. Matthias Bracht am Freitag in Berlin. Nicht alle Krankenhaus-Betten sollten weiter mit der Gießkanne finanziert werden. Es sei nicht mehr zeitgemäß, in den Strukturen zu denken, die heute vorhanden seien.

Nötig sei, vom Bedarf auszugehen und die Versorgungssituation jeweils regional zu betrachten. „Es wird Regionen geben, in denen die Krankenhäuser auch ambulante Angebote machen, und Regionen, in denen Versorgungsanteile von den Krankenhäusern auf die niedergelassenen Ärzte übergehen“, sagte Bracht.

Es gebe schlecht ausgestattete Krankenhäuser, die zudem noch zu wenige Ärzte hätten, so der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch. Hier müsse man kreativ werden. „Regionalisierung nimmt die Komplexität aus dem Problem“, sagte Litsch.

Aufschlag im Koalitionsvertrag

Die kommende Koalition solle „offen, klar und ehrlich“ eingestehen, dass Deutschland an dieser Stelle eine Weiterentwicklung brauche, meinte Bracht. Es wäre gut, wenn schon im Koalitionsvertrag angesprochen werde, dass es nicht um die einzelnen Sektoren gehe, sondern um die Versorgung an und für sich, ergänzte Litsch.

Lesen sie auch

Die neue Koalition solle so früh wie möglich Aufträge an den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) formulieren, zum Beispiel zu neuen Mindestmengenregelungen und Leistungskomplexen. Es gebe zum Beispiel zu viele Kliniken, die weniger als 20 Brustkrebsoperationen vornähmen. Derzeit gibt es acht Mindestmengenregelungen, Brust-Op zählen nicht dazu.

Steuerungsinstrument Mindestmengen

Mindestmengen sehen beide Partner als wichtiges Instrument, um Strukturveränderungen auszulösen. Sie führten zu Umverteilung von Fällen zwischen Kliniken, sagte Litsch. Das wiederum diene der Patientensicherheit, schone aber auch die begrenzten Personalressourcen.

Voraussetzung sei eine Neuausrichtung der Investitionskostenfinanzierung durch die Länder. Sie sollten in Zukunft die Basis- und Notfallversorgung sicherstellen, danach aber „qualitätsorientierte Leistungskonzentration“ an geeigneten Standorten fördern.

An dieser Stelle könnten dann ergänzende Initiativen des Bundes ansetzen, so Litsch. „Versorgungsplanung und Sicherstellung sollten sich nicht mehr an Sektorengrenzen, Arztsitzen und Bettenzahlen orientieren, sondern an Versorgungsaufträgen und Leistungskomplexen“, meint der AOK-Bundesverbands-Chef.

Das Fünf-Punkte-Papier „Jenseits des Lagerdenkens“

1. Finanzierung: Knapp vier Milliarden Euro im Jahr fehlen den Krankenhäusern an Investitionsfinanzierung durch die Länder. Eine Neuaufstellung der Investitionskostenfinanzierung soll Leistungskonzentration an geeigneten Standorten fördern.

2. Strukturvorgaben. Die Finanzierung der Basis- und Notfallversorgung soll bei den Ländern bleiben. Der GBA soll dafür die Strukturvorgaben und Mindestmengenregelungen aufsetzen. Die Länder sollten dies bei der Krankenhausplanung berücksichtigen.

3. Bundesweites Monitoring. Nicht alle Krankenhäuser haben gleichermaßen an der Bewältigung der Pandemie mitgewirkt. 90 Prozent der COVID-Patienten seien von nur der Hälfte der Krankenhäuser versorgt worden. Große Krankenhäuser haben in den Regionen die Steuerung von Patienten, Kapazitäten und Material übernommen. Dabei seien sinnvolle Strukturen der Zusammenarbeit entstanden, heißt es in dem Papier. Um dafür weitere Grundlagen zu schaffen, soll ein bundesweites Monitoring der Krankenhauskapazitäten analog des DIVI-Intensivregisters aufgestellt werden.

4. Ambulantes Potenzial nutzen. Geeignete Krankenhausstandorte sollen in Versorgungseinrichtungen mit Übernachtungsmöglichkeiten umgewandelt werden. Dafür bedarf es eines geeigneten intersektoralen Vergütungssystems und eines Ordnungsrahmens mit regionalen Vertragsgrundsätzen, Qualitätssicherung und Bedarfsplanung.

5. Vorräte anlegen. Beatmungsgeräte, Schutzkleidung und Arzneimittel sollen in ausreichender Menge vorgehalten werden, um flexibel auf Krisen und Lieferengpässe reagieren zu können. Dafür bieten sich große kommunale Krankenhäuser und Universitätskliniken an. Unabhängig von Krankenhäusern geführte Vorratslager verursachten dagegen lediglich logistische Herausforderungen und Zusatzkosten.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Personalengpässe

Gesundheitswesen am stärksten von Fachkräftemangel betroffen

Verbesserungsvorschläge auf dem Medica Econ Forum

Innovationsfonds: Der Weg in die Regelversorgung ist zu lang

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2024

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Kommentare
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Schnelle Kommunikation, aber sicher: Das hilft Teams unterschiedlicher Einrichtungen bei der effizienten Zusammenarbeit.

© [M] Famedly

Neues Kooperationswerkzeug im Netz

Effiziente Kommunikation: Der schnelle Draht von Team zu Team

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Steuern

Pflicht zur E-Rechnung – was auf Ärzte jetzt zukommt

Gastbeitrag

Infertilität: Was bringt gesunder Lifestyle?

Lesetipps
Ein Mann hat Kopfweh und fasst sich mit beiden Händen an die Schläfen.

© Damir Khabirov / stock.adobe.com

Studie der Unimedizin Greifswald

Neurologin: Bei Post-COVID-Kopfschmerzen antiinflammatorisch behandeln

Der gelbe Impfausweis

© © mpix-foto / stock.adobe.com

Digitaler Impfnachweis

eImpfpass: Warum das gelbe Heft noch nicht ausgedient hat