Hausärzteverband

Angriff auf den freien Arztberuf – Hausärzte reden Tacheles

Klare Worte in Richtung GKV-Spitzenverband: Die Hausärzte fordern die Kassenseite auf, in Sachen Sprechzeiten einen Schritt zurückzutreten und das Hineinregieren in die Praxen zu unterlassen.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Die Häusärzte wollen mit ihrem offenen Brief ein Zeichen setzen.

Die Häusärzte wollen mit ihrem offenen Brief ein Zeichen setzen.

© Tombaky - stock.adobe.com

BERLIN. Für den Hausärzteverband scheint die rote Linie endgültig überschritten. Nachdem Vertreter des GKV-Spitzenverbandes kürzlich angekündigt hatten, kein Geld für das geforderte Mehr an Sprechstunden locker machen zu wollen (wir berichteten), schießen die Hausärzte nun mit einem offenen Brief an den Kassenverband zurück. "Ihr Verband maßt sich zunehmend an, darüber bestimmen zu können, wie die Kolleginnen und Kollegen den Arbeitsalltag in ihren Praxen zu organisieren haben", moniert der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbands Ulrich Weigeldt.

Dies betreffe nicht nur die Frage, wann Hausärzte Sprechstunden anbieten sollen, sondern auch jene, ab welcher Praxisgröße Hausärzte Leistungen an MFA delegieren dürfen. Dies sei ein Versuch, "den freien Beruf des Arztes zu normieren".

53 Wochenstunden

» erbringen Hausärzte im Schnitt,

» andere Selbstständige kommen auf nur rund 42 Stunden.

Die Kassen sollten sich lieber an die eigene Nase fassen und dafür sorgen, dass sie die "Kollegen in der Praxis nicht durch überbordende bürokratische Regularien" von der Patientenversorgung abhalten, so Weigeldt weiter in seinem Brief. Denn die zunehmende Bürokratie stellt für den Hausärzteverband ganz klar einen der Gründe dar, warum sich nach wie vor zu wenig junge Menschen für den Hausarztberuf entscheiden.

In dem Brief klingt aber auch einmal mehr die Empörung über den unterschwelligen Vorwurf von der Kassenseite, die Ärzte würden nicht genügend leisten, durch. "Auch jüngste Erhebungen zeigen, dass ein Hausarzt durchschnittlich 53 Stunden pro Woche arbeitet", stellt Weigeldt klar. Damit spielt er auf eine Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) an, in der das Zi auch ermittelt hatte, dass Vertragsärzte insgesamt mit im Schnitt 51,5 Wochenstunden deutlich mehr als andere Selbstständige arbeiten, die auf nur 42,3 Stunden pro Woche kommen.

Im Bestreben, sich hier als Interessenvertreter der Patienten zu profilieren, sieht der Hausärzteverband daher einen Versuch, Ärzte und Patienten gegeneinander auszuspielen. Ein Versuch, der sich laut Weigeldt mit der Versorgungsrealität beißt. Denn die Patienten erlebten "tagtäglich, wie die Krankenkassen bei notwendigen Leistungen, beispielsweise im Heilmittelbereich, auf ihre Kosten versuchen zu sparen."

Die Hausärzte wollen aber gar nicht dauerhaft auf Konfrontationskurs gehen: Es sei Zeit, "von Schuldzuweisungen abzusehen" und stattdessen innerhalb der Selbstverwaltung für bessere Rahmenbedingungen einzutreten, so Weigeldt. Zu den Stellschrauben zählen nach Verbandssicht in jedem Fall die Entbudgetierung typisch hausärztlicher Leistungen wie der Hausbesuche, Gesprächs- oder geriatrischer Leistungen. Das beinhaltet eine angemessene Vergütungshöhe für Hausbesuche. Denn auch das haben Abrechnungsdaten der KBV belegt: Im Schnitt werden zehn Prozent der ärztlichen Leistungen nicht vergütet. Außerdem sollten gemeinsam die Stärkung der Hausarztverträge sowie die Entbürokratisierung angegangen werden.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 02.07.201813:37 Uhr

Insbesondere bei psychischen Erkrankungen...

versuchen die Gesetzlichen Krankenkassen der GKV, aber auch Private Krankenkassen der PKV, in die ärztliche Praxis hineinzuregieren:

Die DAK Gesundheit schreibt dazu:
"Psychische Erkrankungen: Angebote und Hilfe von der DAK-Gesundheit
Informationen zu Therapien, Coachings und neuen Behandlungskonzepten
Der Anstieg der psychischen Erkrankungen in den vergangenen Jahren ist beispiellos. Essstörungen, Phobien, Depressionen oder Burnout - so unterschiedlich und vielschichtig psychische Erkrankungen auch sind, sie alle haben eines gemeinsam: Die Betroffenen leiden und sind in ihrer Lebensqualität eingeschränkt.
Exklusive Therapien für DAK-Kunden mit psychischen Erkrankungen
Um unsere psychisch erkrankten Kunden optimal zu versorgen, geht die DAK-Gesundheit neue Wege mit innovativen Behandlungskonzepten. Neben der klassischen Psychotherapie bieten wir mit Deprexis und Veovita flexible Formate an, die sich an den jeweiligen Lebensumständen und individuellen Anforderungen der Versicherten orientieren.
Hier erhalten Sie alle Informationen zu psychischen Erkrankungen und den klassischen und neuen Therapiemöglichkeiten."
https://www.dak.de/dak/leistungen/psychische-erkrankungen-1796614.html

Dazu ein Fallbeispiel aus meiner Praxis:
Patientin, Anfang 40, Alleinerziehend, 1 Kind, DAK versichert, kam mit einer Schizoaffektiven Störung (F25.1+G) bereits vor einigen Jahren zu mir als Hausarzt. Zusätzlich bestehen Suchtstoffabhängigkeit (F19.2+G), Abhängige Persönlichkeitsstörung (F60.7+G), Familienbezogene Störung des Sozialverhaltens (F91.0+G) und Soziale Anpassungsstörung mit emotionaler Beeinträchtigung (F43.2+G).
Dazu hatte die DAK ein Beratungstelefon geschaltet mit mehrfachen telefonischen Aufforderungen an die betroffene Patienten, verschiedene externe Beratungs- und Hilfsorganisationen nach Terminabsprache aufzusuchen, was die zugrunde liegenden schizoaffektiven Störungen nur noch verschlimmern konnte.

Nicht nur, weil dieses Procedere krankheitsbedingt kontraindiziert war, sondern auch, weil es die Patientin völlig überforderte, waren mehrfache haus- bzw. fachärztliche Kriseninterventionen notwendig.

Im PKV-Bereich gibt es mit "CARELUTIONS" unter dem Motto "Begleiten. Unterstützen. Dranbleiben." bei der DEBEKA und der SDK Vergleichbares:
"Eine gesunde Mischung - Wir kombinieren herkömmliche Methoden mit Digitalmedizin
CareLutions ist ein Spezialist im Bereich der Vernetzung von digitalmedizinischen und klassischen medizinischen Ansätzen in der Gesundheitsbranche. Hierbei bieten wir Case Management Lösungen für Krankenversicherungen, integrierte Versorgungsprogramme für Pharmaunternehmen, BGM- & BEM-Programme für Unternehmen und eine individualisierte Patientenbetreuung für Versicherungen und Privatpersonen an.
- Einsatz neuester, digital- und telemedizinischer Methoden in allen unseren Projekten
- Patientenbetreuung durch Ärzte, Psychologen, Pharmazeuten und medizinisches Fachpersonal
- Management von herausfordernden Projekten zwischen Krankenversicherungen und Pharmaunternehmen
- Neuartige Gesundheitsprogramme mit starker digitaler Komponente für Unternehmen (BGM, BEM)"
http://www.carelutions.de/de/

Den Vogel schießt dabei ein Klappentext von CareLutions ab:
"Wir machen Menschen nicht gesund - aber gesünder
Wie wir das erreichen wollen?
Unser Gesundheitssystem ist eines der teuersten der Welt – die Gesundheit in Deutschland ist aber nur Mittelmaß..."
http://www.carelutions.de/de/leistungen/

Das ist keine kompetente und assistierende Zusammenarbeit mit in der täglichen Krankenversorgung engagierten Ärztinnen und Ärzte, sondern pures Ärzte-"Bashing"!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Thomas Georg Schätzler 01.07.201813:28 Uhr

Es reicht! - "Ca suffit"!

Unsere ersten Patientinnen und Patienten erwarten nicht nur im haus-/primärärztlichen Bereich Rat und Hilfe bereits vor der offiziellen Praxisöffnung, wo sie sich schon am Eingang drängen. Und beim regulären Sprechstunden-Ende ist das Wartezimmer oft immer noch voll, dass nachgearbeitet werden muss.

Eine 20-H-Sprechstunde bedeutet demnach mindestens 25 Zeit-Stunden, nicht nur bei saisonal gehäuften Influenza- und Atemwegserkrankungen: Das ist bei gestiegener Anspruchs- und Erwartungshaltung, dem demografischen Faktor und der Ausdünnung haus- bzw. fachärztlicher Versorgung in Stadt und Land bei allen Organ-, Psycho- und Systemkrankheiten die Regel.

Eine staatlich geforderte Verpflichtung, statt 20 nunmehr 25 Sprech-Stunden pro Woche für unsere GKV-Patientinnen und -Patienten vorzuhalten, geht zumindest für meine Berufsgruppe der Haus- und Familien-Mediziner einschl. der Kinderärzte und hausärztlichen Internisten an den vertragsärztlichen Realitäten meilenweit vorbei und demotiviert zugleich: Durch den beschriebenen Patientenüberhang vor/nach einer 25h-Sprechstunde wäre damit eine effektive wöchentliche Patienten-Belastung von mindestens 30 Zeit-Stunden verbunden.

Und unsere Medizinischen Fachangestellten (MFA) arbeiten bei 20 offenen Sprechstunden pro Woche mit über 25 Wochenstunden gewährtem Publikumsverkehr regelmäßig an ihrer Leistungsgrenze mit 40 Wochenstunden die überbürokratisierten "back-up"-, Verwaltungs- und Organisations-Aufgaben auf.

Die oft aufgehetzte Kommunikation über ärztliche Arbeitszeiten in Politik, Medien, Öffentlichkeit und Sozialversicherungs-Bürokratie spricht Bände. Am heftigsten gegen GKV-Vertragsärztinnen und -Vertragsärzte polemisieren GKV-Funktionäre der Krankenkassen und des Spitzenverbandes Bund (SpiBu) bzw. "Experten", die nicht ein einziges Mal hinter den Anmeldetresen geschaut, Mitarbeiter/-innen oder Familienangehörige befragt bzw. bei ihrem "Hausarzt" hospitiert haben.

Schon bei 20-25 Wochen-Stunden reiner Sprechstunden-Zeit kommen hinzu:

1. Fahrt-/Rüstzeiten, Logistik 5h
2. EDV-Einrichtung, Verwaltung, Datenpflege, Abrechnung 5h
3. Fort- und Weiterbildung, Fachliteratur, Recherchen 5h
4. Fahrtzeiten Haus-/Heim-/Palliativ-Besuche, Verweilen 5h
5. Meist Medizin-ferne Anfragen/Gutachten/Bescheinigung 5h

So kommt man bei einer reinen GKV-Sprechstunden-Zeit von 20-25 Stunden auf die empirisch bisher mehrfach belegte durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 45-50 Stunden bei in der ambulanten Krankenversorgung tätigen Vertragsärzten.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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