Kommentar zum Missbrauchsprozess in Frankreich

Auch die Kammer ist im Visier

Der Missbrauchsprozess gegen einen Kinderchirurgen erschüttert Frankreich. Die große Frage ist, wieso wurden die Taten so lange nicht entdeckt?

Denis Durand de BousingenEin Kommentar von Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:
Auch die Kammer ist im Visier

© Michaela Illian

Im bretonischen Vannes steht derzeit ein 74 Jahre alter ehemaliger Kinderchirurg vor Gericht, der zwischen 1985 und 2017 mindestens 300 seiner kleinen Patientinnen und Patienten sexuell missbraucht oder vergewaltigt haben soll. Der besonders grausame Fall beherrscht die Schlagzeilen in ganz Frankreich. Die Nationale Ärztekammer ist Nebenklägerin. Sie will verstehen, wie der Arzt 32 Jahre lang in mehreren Krankenhäusern seine Taten begehen konnte, ohne entdeckt zu werden.

Viele Ärzte sehen allerdings eine Mitschuld bei der Kammer. Dass diese als Nebenklägerin auftritt, halten sie für unverschämt. Ihrer Auffassung nach hätte die Kammer viel früher reagieren können, wenn ihre Delegierten sich mit allen bestehenden Indizien seriös befasst hätten.

So wird gleichzeitig zum offiziellen Prozess gegen den Arzt ein inoffizieller Prozess gegen die Kammer geführt. In Frankreich lehnen viele Ärzte die Kammer ab, weil sie Pflichtmitglieder sein müssen und wegen ihrer Rolle bei Sanktionen. Der Fall von Vannes ist für die Kammergegner, die allein oder in Vereinen aktiv sind, ein erneuter Anlass, um die Nutzlosigkeit dieses Gremiums anzuprangern und seine Auflösung zu verlangen. Die große Mehrheit der Ärzteschaft lehnt eine solche radikale Maßnahme allerdings ab.

Die Kammer verteidigt sich, während täglich neue Dokumente und Zeugnisse im Gerichtssaal ans Licht kommen. Auch die Krankenhausverwaltungen und die Gesundheitsbehörden sowie vor allem die Justiz selbst haben zu wenig getan, um den verdächtigen und seit 2005 vorbestraften Arzt zu stoppen. Es wird sich erst nach Ende des Prozesses rausstellen, ob die Kritik an der Kammer gerechtfertigt ist oder nicht. Klar ist aber schon jetzt, dass nicht nur einige Ärzte, sondern viele der wichtigsten Einrichtungen des Landes fehlerhaft gehandelt haben.

Schreiben Sie dem Autor: gp@springer.com

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