Kommentar zum Aiwanger-Vorstoß
Bärendienst an der Pflege
Bayerns Wirtschaftsminister hat eine Idee: Langzeitarbeitslose sollen in Pflegeheimen für Entlastung sorgen. Neu ist das nicht. Für Ärger sorgt es trotzdem. Zu Recht.
Veröffentlicht:Die frühere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen kam 2012 mit den „Schlecker-Frauen“ um die Ecke. Aus Nordrhein-Westfalen war einst der Vorschlag zu vernehmen, Menschen Sozialstunden auch in Pflegeheimen ableisten zu lassen, wenn sie Bußgelder nicht bezahlt können.
Auch die Idee, Prostituierte zu Altenpflegerinnen umzuschulen, machte bereits die Runde und wurde sogar in ein Projekt gegossen. Sexarbeiterinnen würden sich mit nackter Haut auskennen und hätten wenig Berührungsängste. Nun also Hubert Aiwanger. Bayerns Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister schlägt vor, Langzeitarbeitslose zu Diensten in sozialen Bereichen wie der Pflege zu verpflichten. Andernfalls solle ihnen Hartz IV gekürzt werden.
In der Landesregierung hängt ob des Vorschlags des Chefs der Freien Wähler einmal mehr der Haussegen schief. Die Schärfe der Replik von CSU-Gesundheitsminister Klaus Holetschek lässt erahnen, wie schief. Auch Pflegeverbände reagieren verärgert. Seit Jahren versuchen sie, ihren Berufsstand in der öffentlichen Wahrnehmung besser dastehen zu lassen und der Pflege den Ruf zu nehmen: Das kann doch jeder!
Streit in Bayern
Aiwanger will Arbeitslose für Pflege rekrutieren
Freilich: Aiwanger hat nicht gesagt, er wolle Langzeitarbeitslose demnächst bei der Körperpflege oder der Nahrungsaufnahme assistieren oder sie einen Dekubitus versorgen lassen. Er hat von Aufgaben gesprochen, für die früher Zivildienstleistende eingesetzt worden seien. Aiwanger geht es wohl eher um Entlastung der Profis von pflegefremden Tätigkeiten, was in der Tat überfällig wäre. Das geht in der Debatte unter. Wohl auch, weil Wahlkampf ist.
Einen Bärendienst erweist Aiwanger der Pflege dennoch. Irgendwie bleibt bei seinen Äußerungen hängen, in Pflegeeinrichtungen lasse sich wie in Parks oder auf Bauhöfen jeder einsetzen, so er oder sie zwei flinke Hände hat und das Herz am rechten Fleck.
Auf junge Menschen wirken solche Assoziationsketten abschreckend – doch gerade sie braucht die Pflegebranche mehr denn je. Der Herr Aiwanger wäre daher gut beraten, mit Pflegekräften ins Gespräch zu kommen, bevor er sich zum Thema Pflegenotstand äußert.
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