Gesundheitsdaten
Barmer kritisiert Blindflug bei Versorgungseffekten
Wenig Daten, wenig Durchblick: Laut Krankenkasse Barmer hat Deutschland bei der Versorgungsforschung noch erheblichen Nachholbedarf. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie habe das vor Augen geführt.
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Laut Morbiditäts-Atlas der Barmer liegt der Anteil herzkranker Menschen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt um bis zu 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Bei der Analyse der Krankheitslast der Bevölkerung gebe es große Defizite, so die Kasse.
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Berlin. Krankenkassen haben eine mangelhafte Versorgungsforschung in Deutschland beklagt. Es gebe „ein erstaunliches Defizit in der Analyse der Krankheitslast der Bevölkerung“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Professor Christoph Straub, bei der Vorstellung des neuen Morbiditäts- und Sozialatlas der Kasse diese Woche in Berlin.
Deutschland setze „sehr viele Ressourcen“ im Gesundheitsbereich ein, wisse aber nur wenig darüber, „wie das matcht“, kritisierte der Kassenmanager. Die Corona-Pandemie habe das Problem „schlaglichtartig“ vor Augen geführt. Teils habe man „keine Ahnung über Impfquoten“ und darüber gehabt, wer welchen Impfstoff erhalten habe.
„Gerettet hat uns Register einer Fachgesellschaft“
Einzig bei der Belegung der Intensivstationen habe es mehr Durchblick gegeben. „Gerettet hat uns das Register einer Fachgesellschaft“, sagte Straub und meinte damit das Intensivregister der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Dabei handelt es sich um eine digitale Plattform zur Echtzeiterfassung von Fallzahlen intensivmedizinisch betreuter COVID-19-Patienten sowie Behandlungskapazitäten in rund 1300 Akutkrankenhäusern.
Straub betonte, es brauche in Deutschland endlich eine verlässliche Datenbasis darüber, wer wo krank sei. Ansonsten sei man „blind“ und verhalte sich „ignorant“. Der jetzt vorgelegte Gesundheitsatlas diene auch dem Ziel, Versorgungslücken aufzudecken und sie dann nach Möglichkeit zu schließen.
Für die digitale Übersicht zu etwas mehr als 30 Krankheitsbildern – darunter Adipositas, Diabetes, Demenz, Muskel-Skelett-Erkrankungen oder Hypertonie – hat das vor zwei Jahren gegründete Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) der Barmer Routinedaten der Kasse genutzt. Diese wurden unter Einbeziehung soziodemografischer Faktoren, Regionalität und Morbidität auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet.
Große regionale Unterschiede bei Krankheitslast
„Vereinfacht gesagt geht der Atlas folgender Frage auf den Grund: Wie gesund sind die Menschen in Deutschland?“, erläuterte Straub. Die Ergebnisse zeigten, dass die Krankheitslast regional sehr unterschiedlich verteilt sei.
Als Beispiel nannte der Barmer-Chef die Herzinsuffizienz. Laut Atlas liegt der Anteil herzkranker Menschen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt um bis zu 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. In diesen drei Ländern litten im Jahr 2020 zwischen 357 und 362 von 1000 Einwohnern an Herzerkrankungen. Die „gesündesten Herzen“ hatten demnach Hamburger, Bremer und Baden-Württemberger mit 195 bis 219 Betroffenen je 1000 Einwohner.
Beispiel Migräne und Kopfschmerzen
Deutliche regionale Unterschiede zeigt der Atlas auch bei Migräne oder Kopfschmerzen auf. Demnach hatten in Bremen 30, in Hamburg 31 und in Thüringen 38 je 1000 Einwohner Migräne beziehungsweise Kopfschmerzen. Betrachtet man einzelne Landkreise in ganz Deutschland, dann reicht die Spanne sogar von 25 bis 57 Betroffenen je 1000 Einwohnern – und zwar in den Kreisen Lörrach und Hildburghausen.
Darüber hinaus seien Herzerkrankungen auch klar altersabhängig, betonte Straub. Während laut Atlas nicht einmal zwei Prozent der 18- bis 29-Jährigen darunter leiden, steigt der Anteil bei Menschen ab 65 Jahren auf knapp 70 Prozent. Männer leiden in allen Altersklassen etwas häufiger an Herzproblemen als Frauen.
Eine andere Geschlechterverteilung als bei Herzerkrankungen zeigt der Morbiditäts- und Sozialatlas dagegen beim Auftreten von Migräne oder Kopfschmerzen. Hier ist der Anteil der betroffenen Frauen bundesweit mehr als dreimal so groß wie bei Männern. Anders als bei den Herzproblemen sind eher jüngere Altersklassen betroffen.
Straub kündigte an, die Kasse wolle den Gesundheitsatlas um weitere Daten ergänzen.