Leitartikel zur Agenda 2010

Basis für Gesundheitsreformen einer ganzen Dekade

Als Gerhard Schröder vor zehn Jahren seine "Agenda-Rede" im Bundestag hielt, begann ein politisches Großprojekt, das Deutschland verändern sollte. Die SPD musste für den Mut zu Reformen bezahlen, Angela Merkel profitiert bis heute.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Vor zehn Jahren: Gerhard Schröder verkündet die Agenda 2010.

Vor zehn Jahren: Gerhard Schröder verkündet die Agenda 2010.

© dpa

"Mut zum Frieden und zur Veränderung" war die Rede überschrieben, die Bundeskanzler Gerhard Schröder heute vor zehn Jahren im Bundestag gehalten hat. In Erinnerung geblieben ist die Regierungserklärung tatsächlich als die "Agenda-Rede".

"Der große Wurf für Deutschland war das mit Sicherheit nicht", nörgelte die Oppositionsführerin. Angela Merkel (CDU) sollte sich täuschen. Tatsächlich haben diese 90 Minuten Deutschland verändert wie kein anderes politisches Großprojekt seit der Wiedervereinigung.

Als Gerhard Schröder am 14. März 2003 zum Rednerpult ging, befand sich Deutschland wirtschaftlich in einer tiefen Krise. Die Arbeitslosigkeit war 2002 auf über vier Millionen geklettert. Die staatliche Defizitquote stieg über die Grenze des Maastricht-Kriteriums auf 3,7 Prozent. Die im Herbst mit knapper Mehrheit wiedergewählte rot-grüne Regierung stand unter Handlungsdruck. ...

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 14.03.201321:24 Uhr

"De Ex-Cancellariis foederalis nihil nisi bene" ...

könnte man zu Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder in Abwandlung des Ausspruchs "de mortuis nihil nisi bene" [über Tote rede man nur Gutes] sagen. Er hatte am 14.3.2003 im Bundestag seine "Agenda-Rede" gehalten. Nach der Bundestagswahl 2005 und seinem desaströsen TV-Auftritt in der "Elefantenrunde" der Parteivorsitzenden hatte er seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Und blieb im Amt, bis er durch die Wahl von Dr. Angela Merkel zur Bundeskanzlerin am 22.11.2005 abgelöst wurde.

Jetzt, zum ersten Mal seit 2005, besuchte Gerhard Schröder wieder die SPD-Fraktion. Und die Geschichtsklitterung ging wieder von vorne los. Denn es war keineswegs so, wie oft behauptet, dass ab 2002 in Deutschland Hütten und Paläste gleichzeitig gebrannt hätten. Zugegeben, Arbeitslosigkeit und Staats-Defizitquote waren hoch, die GKV kränkelte defizitär, Produktivität, Handel, Gewerbe und Dienstleistung dümpelten auf niedrigem Niveau. Aber anderen Ländern ging es da durchaus ähnlich.

Es war die S P D, die damals nicht begriff, dass ihr Parteivorsitzender und Bundeskanzler mit seiner Agenda 2010 keinerlei Strategie und keinen Plan B, außer einer gewaltigen Umverteilung von unten nach oben, hatte. Schröders dubiose Berater waren damals Peter Hartz, Walter Riester und Prof. Bert Rürup. In deren Dunstkreis wurden gewaltige, steuerbegünstigte Versicherungspakete geschnürt, mit denen die private Versicherungswirtschaft saniert und protegiert wurde, um mit riskanten Finanztransaktionen Firmen wie AWD und die spätere Maschmeyer-Rürup-AG hochzuziehen.

In der gesetzlichen Krankenversicherung wurden Grundsteine für einseitig massive Zusatz- und Zuzahlungskosten bei erkrankten Versicherten gelegt. Gedanken an mehr Beitragsgerechtigkeit durch E r h ö h u n g der Beitragsbemessungsgrenze, Einbeziehung sonstiger Einkünfte bei sinkender Lohnquote und S e n k u n g der GKV-Kassenbeiträge von derzeit 15,5 Prozent wurden gar nicht erst verschwendet. Die Praxisgebühren von Anfang 2004 bis Ende 2012 kosteten Patienten insgesamt 18 Milliarden Euro. Dazu kamen erhebliche Zuzahlungen für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel, Klinik- und Kuraufenthalte. Bis heute hat sich daraus ein GKV-Überschuss von 28,3 Milliarden € angehäuft, der jetzt Begehrlichkeiten unseres Bundesfinanzministers zur Kaschierung seines galoppierenden Haushaltsdefizites erweckt.

Es ging der SPD n i c h t um die Strategie "Friede den Hütten, Krieg den Palästen". Sondern mit der Agenda 2010 wurde der Startschuss gegeben, aus den gesicherten Palästen die Hütten "anzuzünden". Ein entfesselter Turbokapitalismus mit Spekulationsblasen bei Immobilien, Börsen und Hedgefonds, Devisen und Derivaten führte nach initialem kurzem Strohfeuer zur globalen Weltwirtschaftskrise mit dem Zusammenbruch der US-amerikanische Investmentbank "Lehmann Brothers Inc." als Startschuss. Diese musste am 15.9.2008 wegen der Finanz-, Banken und Immobilienkrise Insolvenz anmelden. Der Strudel dieser Ereignisse zog insbesondere Deutsche Banken, Immobilienfonds, den Europäischen Markt und einige Europäische Staaten mit hinunter.

Und so mancher wünschte sich, es hätte die Agenda 2010 niemals gegeben. Bezogen auf unser Gesundheits- und Krankheitswesen bedeutete diese m. E. nichts als Dilettantismus.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund



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