Stratifizierte Medizin
Behält Deutschland seinen Spitzenplatz?
Mittelmaß oder Spitzenplatz? Wissenschaft und Industrie warnen, sich bei der personalisierten Medizin auf Kosten zu fokussieren.
Veröffentlicht:KÖLN. Deutschland steht am Scheideweg, was den Umgang mit den Möglichkeiten der personalisierten Medizin oder Präzisionsmedizin umgeht.
"Entweder wir gehen an die Spitze oder wir werden Mittelmaß mit einzelnen Leuchttürmen", sagte Professor Michael Hallek, Vorsitzender des Centrums für Integrierte Onkologie an der Universitätsklinik Köln, bei der PerMediCon in Köln.
Die internationale Kongressmesse für personalisierte Medizin fand zum fünften Mal statt. Schwerpunktthema war in diesem Jahr die Onkologie.
"Wir müssen eine aktive Rolle spielen, und wir können es aufgrund unserer Vernetzungsstrukturen", betonte Hallek. Die Voraussetzungen seien hierzulande deutlich besser als in den USA.
Dort habe die Politik aber frühzeitig die großen Chancen der Präzisionsmedizin als Innovationstreiber erkannt. "Die amerikanische Regierung will vier Milliarden US-Dollar in die Präzisionsmedizin stecken."
Läuft Deutschland der Entwicklung hinterher?
Wenn Deutschland durch das konzertierte Zusammenspiel von Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Industrie jetzt nicht die Initiative ergreife, laufe man Gefahr, der Entwicklung hinterherzulaufen, warnte auch Dr. Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG und Vorstandsvorsitzender des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller.
"Wir werden uns abhängig machen von den Standards, die die Amerikaner setzen." Eine große Herausforderung für die Zukunft sieht Pfundner darin, die große Menge an Daten aus Diagnostik und Forschung und die daraus resultierenden Erkenntnisse zusammenzuführen.
"Es geht darum, die Daten zu strukturieren und zu analysieren, um daraus Therapieempfehlungen ableiten zu können."
Nötig sei der Aufbau von Kompetenzzentren und Netzwerken, um die Leistungen allen Patienten zur Verfügung zu stellen. Im Moment gebe es viele Einzelinitiativen. "Irgendwann wird man merken, dass man mit einer isolierten Vorgehensweise an eine Grenze stößt."
Gerade bei zunehmender Spezialisierung werde die interdisziplinäre Zusammenarbeit immer wichtiger, sagte Onkologe Hallek.
"Wir müssen uns austauschen und die unterschiedlichen Experten zusammenbringen." Dafür sind seiner Meinung nach auch neue Anreizmodelle durch die Kostenträger notwendig.
Professor Salah-Eddin Al-Batran, Medical Director am Institut für Klinisch-Onkologische Forschung am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt, hält den Ausbau der klinischen Forschung für erforderlich.
Ruf nach mehr Gewicht für klinische Forschung
"Wir brauchen große klinische Studien. Wir können manche Fragen nur beantworten, wenn wir Hunderte von Patienten einschließen." Die klinische Forschung in Deutschland brauche mehr Gewicht und neue Strukturen, findet er.
"Wir müssen in der Lage sein, industrieunabhängig zu forschen." Gleichzeitig sei es notwendig, dass die verschiedenen beteiligten Institutionen stärker als bisher zusammenarbeiten.
So dürfe eine Förderung durch die Deutsche Krebshilfe nicht daran scheitern, dass die Industrie in einer früheren Phase an einem Forschungsprojekt beteiligt war. "Was ist dabei, wenn alles transparent ist?", fragte Al-Batran.
Wenn Erfolge der Präzisionsmedizin belegt sind, müssen sie den Patienten auch zugutekommen, so Matthias Mohrmann von der AOK Rheinland/Hamburg.
Sie hatte als erste die Finanzierung von Gendiagnostik bei Lungenkrebs an der Uniklinik Köln übernommen. Die Kostenübernahme bei weiteren Tumorarten schloss Mohrmann nicht aus, wenn Therapieerfolge belegt seien.
Kongresspräsident Hallek forderte dazu auf, die Präzisionsmedizin als Chance zu sehen. Deutschland müsse heraus aus der "defensiven Phase", sagte er. "Wir müssen uns die Frage stellen: Wie bekommen wir es hin? und nicht sagen: Es kostet zu viel."