Selbstständige
Beitragsschulden – Ratlosigkeit regiert
Die Rückstände von freiwillig GKV-Versicherten sind auf über sechs Milliarden Euro gestiegen. Bloßes Drehen an Bemessungsgrenzen reicht nicht, wurde bei einer Anhörung im Bundestag deutlich.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Beitragsschulden in der GKV sind auf zuletzt 6,15 Milliarden Euro gestiegen. Vermeintlich einfache Lösungen gibt es nicht. Mittlerweile geben auch Kassenvertreter zu, dass es "Diskussionsbedarf" gibt. Das ist bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag am Mittwoch deutlich geworden.
Kernproblem ist die Verschuldung insbesondere bei Solo-Selbstständigen. Für diese Gruppe unterstellt der Gesetzgeber ein Mindesteinkommen. Diese Mindestbemessungsgrundlage, auf deren Basis dann die Beitragshöhe kalkuliert wird, beläuft sich in diesem Jahr auf 2231,25 Euro. Die Linksfraktion schlägt vor, diesen Wert – ohne jede weitere Differenzierung – auf die sogenannte Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro im Monat zu senken.
"Realitätsfremder" Vorschlag
Selbstständige in der GKV
1,9 Millionen Selbstständige sind in der GKV versichert (57 Prozent), 1,5 Millionen sind PKV-versichert (43 Prozent).
Die Hälfte der Solo-Selbstständigen verdient nach Angaben des DGB höchstens 12,70 Euro je geleisteter Arbeitsstunde. Die Gruppe im untersten Einkommensfünftel muss 44 Prozent ihres Bruttoeinkommens für die GKV aufwenden. Bei den PKV-Versicherten sind es sogar 52 Prozent, hat eine Studie des IGES-Instituts ergeben.
Auf 8,15 Milliarden Euro belaufen sich die Beitragsrückstände über alle Sozialkassen hinweg (Stand Januar 2017). Das Beitragsschuldengesetz vom August 2013, das "Wucherzinsen" von 60 Prozent pro Jahr abgeschafft hat, wirkt nicht wie vom Gesetzgeber erhofft.
Das Echo der Sachverständigen ist überwiegend skeptisch bis ablehnend. Es sei "realitätsfremd, bei hauptberuflich Selbstständigen pauschal ein Einkommen von 450 Euro zu unterstellen", kritisierte der BKK Dachverband. Das entspräche einem GKV-Mindestbeitrag von rund 83 Euro monatlich. Als Konsequenz müsste beispielsweise ein versicherungspflichtiger Student höhere Beiträge zahlen als ein selbstständiger Erwerbstätiger.
Der GKV-Spitzenverband verwies auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach freiwillig versicherte Mitglieder im Durchschnitt kostendeckend verbeitragt werden müssen. Bereits die gegenwärtige Mindestbemessung führe zu Beiträgen, die unter den durchschnittlichen Leistungsausgaben für GKV-Versicherte liegen.
Der Ersatzkassenverband vdek machte in der Anhörung deutlich, dass die säumigen GKV-Mitglieder ganz überwiegend nicht nur zeitweise illiquide sind. Ihre Situation sei "dauerhaft problematisch": "Wenn die Beiträge nicht gezahlt werden, dann werden sie nahezu ausnahmslos zur Gänze nicht gezahlt".
Obwohl Kassenverbände wissen, dass Symptomkur nicht reicht, schlagen sie – vorläufig – genau diese vor: Es sollte über eine neue Mindestbemessung für Selbstständige von 1487 Euro "diskutiert" werden, schlägt der BKK-Dachverband vor. Der vdek plädiert "aus sozialpolitischen Erwägungen" für eine Beitragsbemessung auf Basis von 991 Euro pro Monat.
Der Staat als Ausfallbürge
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte, die Folgeschäden "politisch gewollter Selbstständigkeit" dürften nicht den abhängig Beschäftigten aufgebürdet werden. Die GKV müsse daher schrittweise von den Beitragsschulden entlastet werden, und zwar durch Steuerzuschüsse.
Eine nachhaltige Lösung sollte sich aus Sicht des DGB an der Regelung für Künstler, Publizisten und Landwirte orientieren. In der Künstlersozialkasse (KSK) etwa sind aktuell rund 184.000 Versicherte registriert. Sie müssen – wie Arbeitnehmer – nur die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Der Zuschuss des Bundes an die KSK belief sich 2015 auf 187 Millionen Euro.