Beschneidung spaltet die Ärzteschaft

Das Kölner Urteil zur Beschneidung treibt auch die Ärzteschaft um - mit völlig konträren Meinungen. Während in Niedersachsen die Kammer gegen das Urteil mobil machen soll, loben es Nordrheins Urologen.

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Scharf - und ein Grund für Debatten.

Scharf - und ein Grund für Debatten.

© Oliver Berg / dpa

NEU-ISENBURG (maw/cben). Das Urteil des Landgerichtes Köln, das die Beschneidung von minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen unter Strafe stellt, spaltet die Ärzteschaft.

Gegner finden sich zum Beispiel in Niedersachsen. Dort will Dr. Bernd Lücke, Niedersachsens Hartmannbund-Chef und Mitglied der Kammerversammlung, erreichen, dass die Versammlung sich für die Beschneidung aus religiösen Gründen ausspricht, und hat einen entsprechenden Antrag gestellt.

Die Kammerversammlung möge beschließen, dass "nicht berufsunwürdig oder dem Berufsrecht widersprechend", handle, "wer aus religiösen Gründen Zirkumzisionen - auch an Minderjährigen - vornimmt."

Der Gesetzgeber solle "schnellstmöglich gesetzliche Klarheit schaffen."

Ausgrenzung und "Pseudoargumente"

"Die Beschneidung zu verbieten sei das "Maximum an Ausgrenzung" von Minderheiten und widerspreche einer freiheitlichen Gesellschaft, so Lücke.

Zustimmung ernten die Kölner Richter für ihr Urteil hingegen aus den Reihen der nordrheinischen Urologen.

"Das haarsträubende Pseudoargument für diesen Eingriff, dass Neugeborene angeblich noch keinen Schmerz empfinden, trifft ebenso wenig zu wie vermeintlich hygienische Gründe", äußert sich Dr. Wolfgang Rulf, Geschäftsführer der Uro GmbH Nordrhein, einem Zusammenschluss niedergelassener Urologen, in einer Mitteilung seiner Gesellschaft.

Rulf geht auch mit der WHO hart ins Gericht. So zeige eine Studie der Weltgesundheitsorganisation zwar eine niedrigere Rate an sexuell übertragbaren Krankheiten in Bevölkerungsgruppen mit beschnittenen Männern.

Daraus eine allgemeine Präventionsempfehlung abzuleiten, entbehre aber jeder Grundlage "angesichts des gleichen Effekts durch tägliche Körperhygiene".

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Kommentare
Lutz Barth 24.07.201207:59 Uhr

Position des Hartmannbundes mehr als nachdenklich!

Mit Verlaub: Der Hartmannbund resp. „sein Chef“ sollte sich in der Debatte um die Beschneidung etwas zurückhalten, geht es doch tatsächlich um bedeutende Grundrechte.

Der Antrag von Herrn Dr. med. Bernd Lücke, Mitglied der Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen und Vorsitzender des Hartmannbundes in Niedersachsen an die Kammerversammlung der ÄKN am 26. 9. 2012 kann im vollen Wortlaut auf den Webseiten des Hartmannbundes nachgelesen werden und man/frau mag es kaum glauben: die Grundrechte der Kinder finden in keiner Zeile des Antrages eine Erwähnung.
Der Hartmannbund sollte weniger in die „transzendente Glaskugel“ schauen und dafür einen Blick in die Verfassung riskieren. Ihm würde dann sicherlich nicht entgehen, dass auch Kinder Grundrechte haben und der Staat aufgerufen ist und bleibt, hier seine grundrechtlichen Schutzpflichten wahrzunehmen.

Wie der Presse weiter entnommen werden kann, will die Ärztekammer Niedersachsen einstweilen zum Antrag nicht Stellung beziehen, sondern bis zur Kammerversammlung im September zuwarten. Dies ist nachhaltig zu begrüßen. Vor allem ist sind die Ärztekammern nicht (!) dazu berufen, auch nur bis zur höchstrichterlichen Klärung einer rechtsethischen Grundsatzfrage einstweilen eine Regelung im ärztlichen Berufsrecht zu treffen!

Die Kammern sind keine demokratisch legitimierten Gesetzgebungsorgane und damit zur Normsetzung in dieser Frage befugt, mal ganz davon abgesehen, dass auch das Strafgesetzbuch einstweilen eine abschließende Regelung getroffen hat.
Es kann derzeit kein Zweifel daran bestehen, dass die Zirkumzision objektiv den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt. Hierüber kann auch der Literaturhinweis des Hartmannbundes auf einen Strafrechtskommentar nicht hinwegtäuschen.

Nachdenklich muss freilich stimmen, dass die Ärzteschaft – allen voran ihre Verbände und Kammern – allzu sorglos mit dem geltenden Verfassungsrecht und den insoweit verbürgten Grundrechten umgehen. Vielleicht sollte die Ärzteschaft sich daher ein stückweit bescheiden, uns an ihren Botschaften teilhaben zu lassen, da es gilt, auch mit Blick auf die legitimen Interessen der „kleinen Staatsbürger“ den rechtsethischen Grundstandard zu wahren.

Dr. Thomas Georg Schätzler 23.07.201219:04 Uhr

Offener Brief in der FAZ

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist ein Offener Brief auf Initiative von Prof. Dr. med. Matthias Franz, Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinik Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität, publiziert:

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-11827590.html

Diesem haben sich viele Kolleginnen und Kollegen aus Klinik, Forschung und Praxis angeschlossen.
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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