Forscher zu Private Equity-Trend in der Pflege
Blackbox Pflegequalität
Finanzinvestoren drängen mit Macht in den Markt der Pflege-Immobilien. Der Wissenschaftler Dr. Christoph Scheuplein fordert, Arbeitsbedingungen und Finanzströme stärker zu beleuchten. Sonst könnte die Solidargemeinschaft Leidtragende sein.
Veröffentlicht:Berlin. Das Karussell von Kaufen und Verkaufen in der Pflege durch Private-Equity-Investoren muss mehr beleuchtet und reguliert werden, fordert Dr. Christoph Scheuplein. Der Wissenschaftler am Institut für Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen verfolgt das Vordringen der Investoren in den Gesundheits- und Pflegemarkt seit Jahren. „Wir beobachten eine wachsende Marktmacht von Pflegeheimketten durch Private-Equity-Investoren“, sagt Scheuplein im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.
Diese Übernahmen würden sich mit großer Sicherheit fortsetzen, denn in den vergangenen Jahren hätten die Private-Equity-Fonds Rekordzuflüsse an Kapital verbucht – und daran habe auch die Corona-Pandemie wenig geändert. Zwar beobachte man, dass Übernahmen stattfinden. „Was aber bisher eine Blackbox ist, das sind die Auswirkungen auf die Pflegequalität und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten“, moniert Scheuplein.
Die fehlende Transparenz setzt sich an anderer Stelle fort: „Wir wissen über die Eigentümerstrukturen wenig, über die Finanzströme fast gar nichts“, erläutert der IAT-Wissenschaftler. Bekannt sei nur dass viele Investorengruppen ihre Gewinne in Steueroasen wie zum Beispiel in Luxemburg versteuern.
Schulden auf Betreiber verlagert
Beim Kauf eines Pflege-Unternehmens durch eine Private-Equity-Gruppe werden in der Regel die für den Kauf verwendeten Kredite auf das erworbene Unternehmen selbst übertragen. Bei diesem im Fachjargon „Debt pushdown“ genannten Vorgehen muss die Betreibergesellschaft des Pflegeheims und nicht der neue Eigentümer für die Schulden aufkommen. Im Ergebnis verlagert sich der Zweck des Betriebs eines Pflegeheims weg von der Versorgung pflegebedürftiger Menschen hin zur Bedienung von Schulden. Gleichzeitig helfen die hohen Zinszahlungen für diese sogenannten Gesellschafterdarlehen dem Investor dabei, seine steuerpflichtigen Gewinne zu senken.
Private-Equity-Fonds bedienen sich häufig eines ganzen Instrumentenkastens, um gekaufte Pflegeunternehmen in ein größeres Firmenkonglomerat zu integrieren, im Jargon „Buy-and-Build-Strategie“ genannt. Das wiederum dient beim Ausstieg des Investors dazu, hohe Preise zu erzielen. So wurde Berichten zu Folge für den Kauf der Alloheim-Gruppe durch das Private Equity-Unternehmen Nordic Capital ein Preis von über einer Milliarde Euro aufgerufen.
Dieses Vorgehen stellt eine zentrale Prämisse in Frage, nämlich dass Finanzinvestoren tatsächlich Geld mitbringen, das dazu beiträgt, die steigenden Aufwendungen für die Versorgung einer alternden Gesellschaft abzufedern. Dem widerspricht der IAT-Wissenschaftler Scheuplein: „Private-Equity-Fonds ziehen über ihr Geschäftsmodell Geld aus den Unternehmen heraus – dies wird auch die Sozialversicherungssysteme treffen.“
Finanzinvestoren belasteten die Solidargemeinschaft der Versicherten nicht nur dadurch, dass sie die gekauften Firmengruppen mit hohen Schulden belasten. Pflegeheime würden zu Spekulationsobjekten, indem der Investor den Verkaufspreis nach oben treibe, so Scheuplein. Dazu passe die Beobachtung, dass die meisten Pflege-Konzerne wieder an einen neuen Investor verkauft wurden: „Die Spirale aus Schulden und Finanzdruck wird so weiter nach oben geschraubt.“
Beteiligung auf 49 Prozent deckeln
Das IAT habe in Studien zeigen können, dass in Deutschland tätige Private-Equity-Fonds je nach Startjahr 15 bis 20 Prozent an Rendite erzielt hätten, so Scheuplein: „Das ist die Messlatte, die auch an Unternehmen im Gesundheitssektor gehalten wird.“ Er plädiert dafür, den Betrieb von Pflegeheimen stärker zu regulieren. So sollten sich Private-Equity-Gesellschaften mit maximal 49 Prozent an einem Unternehmen beteiligen dürfen.
Für geboten hält es Wissenschaftler Scheuplein zudem, mehr Transparenz in die Eigentümerstrukturen und in die Kapitalflüsse zu bringen. Aufgabe der Versorgungsforschung wäre es aus seiner Sicht, die Auswirkungen dieser Investments auf die Qualität der pflegerischen Versorgung, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sowie die Kostenbelastung der Pflegebedürftigen in den Blick zu nehmen. (fst)