Private Equity
Altenpflege ist längst ein Milliardengeschäft
Die Altenpflege ist von Private-Equity-Investoren als lukratives Karussell von Kaufen und Verkaufen entdeckt worden. Die Politik schaut zu, Studien zur Versorgungsforschung fehlen.
Veröffentlicht:Berlin. Die Altenpflege ist ein zentrales Feld öffentlicher Daseinsvorsorge. In den Sozialgesetzbüchern ist daher die pflegerische Versorgung auch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe deklariert.
Bei Pflegeheimen und deren Eigentümern dagegen gelten ganz andere Sitten. Vor allem Pflegeimmobilien sind von Finanzinvestoren entdeckt worden. Sie gelten – in der Sprache des Beratungsunternehmens pwc – als „krisenstabile und konjunkturresistente Nutzungsklasse mit zumeist langfristig angelegten Miet- bzw. Pachtverhältnissen“.
Wenig wahrgenommen von der Öffentlichkeit haben sich große Pflegeketten etabliert, die von Finanzinvestoren ge- und wieder verkauft werden. Möglich machen all dies die zuverlässigen Zahlungsströme: Pflegerische Dienstleistungen werden aus Mitteln der Sozialen Pflegeversicherung, aus dem Vermögen der Pflegebedürftigen und bedarfsweise auch aus Mitteln der Kommunen bezahlt – eine sichere und berechenbare Anlagechance also.
Neuer Akteur: Private Equity-Fonds
Sowohl Pflegedienste wie auch Pflegeimmobilien ziehen Investoren an, immer häufiger tritt dabei ein relativ neuer Akteur auf den Plan: Private-Equity-Investoren. Dabei handelt es sich um spezialisierte Unternehmen, die Gelder von Dritten bündeln und diese dann mit Versprechen auf hohe Renditen investieren.
Im Vorjahr hat das Beratungsunternehmen pwc insgesamt 29 Käufe oder Verkäufe ambulanter Pflegedienste beobachtet, bei zehn von ihnen waren Private-Equity-Investoren mit im Spiel. 2019 gab es nur vier solcher Transaktionen unter Beteiligung von Fremdkapitalgebern. Vergleichbar ist der Trend bei Pflegeimmobilien. Hier wurde bundesweit im Vorjahr mit 3,4 Milliarden Euro an Allzeithoch beim Transaktionsvolumen erreicht.
Zum Vergleich: Im Jahr 2015 waren es noch 800 Millionen Euro. In den vergangenen Jahren gab es jährlich rund fünf Übernahmen von Pflegeeinrichtungen durch Private-Equity-Investoren. Doch seit 2017 ist ihre Zahl regelrecht explodiert. Seitdem wurden jährlich mehr als 20 Pflege-Unternehmen von Investoren gekauft. Die große Nachfrage halte auch im laufenden Jahr, verspricht der „Transaktionsmonitor“ von pwc.
Die Nichtregierungsorganisation „Finanzwende Recherche“ ist in einer Studie der Frage nachgegangen, was all das mit der Pflegebranche macht, die nach der öffentlichen Wahrnehmung nicht primär der Renditeorientierung unterliegen sollte. „Der Eintritt risikofreudiger Finanzakteure mit hohen Gewinnerwartungen hat die Logik verändert, die in diesem Sektor den Ton angibt“, schreiben die „Finanzwende“-Autoren.
Welche Interessen haben diese Investoren?
Das Geschäftsmodell von Private Equity hebt sich deutlich von dem anderer privater Investoren ab: Kauf von Pflegeheimen nur mit einem Horizont von fünf bis sechs Jahren, Neuordnung der Akquisen zu großen Pflegeheimketten, Verkauf mit hohem Gewinn. Beispiel Alloheim: Der aktuell zweitgrößte Anbieter von Pflegeheimen in Deutschland verfügt über etwa 20.000 Pflegebetten. Sein Besitzer im Zeitraum von 2013 bis 2017, die Private-Equity-Firma Carlyle, verkaufte die Gruppe für das Sechsfache des Kaufpreises, berichtet „Finanzwende“ in seinem Report.
Statt der Pflege alter und kranker Menschen stünde nun die „Schaffung von Mehrwert für Investoren“ im Fokus. Dieser Prozess wird als „Finanzialisierung“ bezeichnet: Der Finanzmarkt ist nicht mehr Dienstleister für die „Realwirtschaft“ – hier die Eigentümer von Pflegeimmobilien –, sondern die Renditeorientierung kann auf die Beschäftigten und die Pflegebedürftigen durchschlagen, etwa in Form schlechterer Arbeitsbedingungen in den Heimen oder durch Abfluss öffentlicher Gelder, die für die Pflege hätten eingesetzt werden können.
Bislang fehlen allerdings hochwertige Versorgungsforschungs-Studien, die systematisch belegen könnten, dass die Pflegequalität in Heimen, die von Finanzinvestoren getragen werden, schlechter ist. Ebenso fehlen Studien, die Auskunft geben, ob sich bei COVID-19-Ausbrüchen in Heimen Auffälligkeiten in Abhängigkeit von der Trägerschaft zeigen.
Das Thema blieb für die große Koalition unter dem Radar: Auf Initiative der Linken-Fraktion wurden im März 2020 im Gesundheitsausschuss zwar Sachverständige zum Thema Kapitalinteressen in der Gesundheitsversorgung befragt. Gesetzgeberische Initiative folgten daraus aber nicht.
Derweil geht der Umbau der Pflegeheim-Branche voran. Unter den 15 größten Pflegeheimgruppen sind nur drei gemeinnützige. Zwar liegen Pflegeunternehmen mit einem freigemeinnützigen Träger mit bundesweit 8115 Einrichtungen noch vorne (plus 62 Prozent sei 1999). Doch private Träger haben mächtig um 112 Prozent auf 6570 Einrichtungen zugelegt.