Blick ins Ausland
Corona-Hotspot Portugal: Inzidenz 816 / 100.00 Einwohner
Die Corona-Lage in Portugal spitzt sich dramatisch zu, das Gesundheitssystem ist am Limit. Das Land hat die weltweit höchste Infektionsrate überhaupt. Ein Grund dafür: Das Land hat zu früh gelockert.
Veröffentlicht:Lissabon. Vierzig Krankenwagen mit COVID-Patienten warten in Schlange vor der Notaufnahme des Lissaboner Hospitals Santa María. Sie warten darauf, dass eines der knapp 1000 Krankenhaus-Betten frei wird. „Wir sind am Limit. Neben Betten und Beatmungsgeräten ging uns zeitweise sogar der Sauerstoffvorrat aus“, erklärte Klinikdirektor Daniel Ferro portugiesischen Medien vor wenigen Tagen.
Einige Patienten wurden bereits ins Nélio Mendonça Hospital auf die portugiesische Ferieninsel Madeira verlegt. Sobald ein Patient entlassen wird, kommen Ärzte in Schutzkleidung hinaus, um bereits in den wartenden Ambulanzen zu prüfen, welche Patienten am dringendsten aufgenommen werden müssen.
Gesundheitssystem vor dem Kollaps
Szenen wie diese spielen sich derzeit vor den Krankenhäusern in ganz Portugal ab. Behördenangaben zufolge waren im ganzen Land bis vor kurzem nur noch sieben Intensivbetten frei. Die dritte Corona-Welle hat Portugal fest in der Hand. Täglich registriert das kleine Land im äußersten Südwesten Europas mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern mehr als 300 Todesfälle und über 13.000 Neuinfektionen. Laut der EU-Agentur ECDC liegt die 7-Tage-Inzidenz derzeit bei 816 Menschen je 100.000 Einwohner. Kein Land der Welt hat eine höhere durchschnittliche Infektionsrate.
Das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps. Zumal sich laut offiziellen Angaben ein Großteil des Gesundheitspersonals bereits selber mit COVID-19 infiziert hat. Personalengpässe gab es aber schon vorher. Im Zuge der Pandemie werden sie allerdings spürbarer.
Pensionierte Ärzte und Medizinstudenten müssen aushelfen
„Derzeit fehlen in Portugal rund 20.000 Krankenpfleger, die aufgrund schlechter Bezahlung und Arbeitsbedingungen in andere europäische Länder, vor allem nach Großbritannien, ausgewandert sind“, erklärt Guadalupe Simões vom der portugiesische Krankenpfleger-Gewerkschaft (SEP). Ähnlich sieht die Lage bei den Ärzten aus. So sollen nun bereits pensionierte Ärzte und selbst Medizinstudenten mobilisiert werden, um das vollkommen überlastete Gesundheitssystem zu unterstützen.
Auch mehrere EU-Länder kommen Portugal nun zur Hilfe an. Von Deutschland aus sollen am Mittwoch zwei Flugzeuge der Bundeswehr mit einem Hilfsteam und Material in das EU-Land am südwestlichen Rand Europas fliegen. Unter den 26 Soldaten und Soldatinnen sind acht Ärzte, wie die Bundeswehr mitteilte.
Das Hilfsteam war beim Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst im ostfriesischen Leer zusammengezogen worden. Es wird begleitet durch den Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Ulrich Baumgärtner. Im Laderaum des A400M werden 50 Beatmungsgeräte, 150 Infusionsgeräte, 150 Krankenbetten und weiteres Material nach Lissabon geflogen. Die erste Gruppe soll für 21 Tage im Einsatz sein. Falls erforderlich, sollen weitere Kontingente folgen. Spanien und Österreich nehmen unterdessen Intensivpatienten auf.
Viele haben sich mit den mutierten Viren infiziert
„Die Lage ist schlimm“, versicherte Portugals Ministerpräsident António Costa und stimmte seine Landsleute auf „sehr harte Wochen“ ein. Um die rasant steigende Pandemie zu stoppen, riegelte sich das Land am Sonntag ab. Zwei Wochen lang sind Ein- und Ausreisen ohne triftigen Grund untersagt. Die internationalen Flugverbindungen sind größtenteils eingestellt. Selbst die Landgrenze zu Spanien ist dicht. Bis Mitte Februar gelten strikteste Lockdown-Regeln im Land.
Die Behörden vermuten unterdessen, dass sich die Viruserkrankung derzeit so schnell ausbreitet, weil es sich bei fast ein Drittel aller COVID-19-Fälle um die sich vermutlich ansteckendere SARS-CoV-2-Variante aus Großbritannien handelt. Im Ballungsraum Lissabon mache sie sogar etwa die Hälfte aller Neuinfektionen aus.
Rückschlag durch zu schnelle Öffnungen
Virologen und Ärzte sehen in der britischen Corona-Mutation aber nur einen Teilgrund dafür, dass Portugal im Januar plötzlich zum Corona-Höchstrisikogebiet wurde. „Vielmehr spielte die viel zu schnelle Öffnung und laxe Handhabung der Pandemie vor allem zu Weihnachten eine Rolle bei der dramatisch beschleunigten Ausbreitung“, versichert Víctor Almeida, Vorsitzender des portugiesischen Notfallärzte-Verbands.
Dabei kam Portugal zunächst ganz gut durch die Krise. Das liegt nicht nur an der Randlage mit nur einem Nachbarstaat. Lissabon reagierte auch sehr viel früher als die meisten anderen EU-Staaten auf die erste Corona-Welle im letzten Frühjahr. Zigtausende Portugiesen begaben sich sogar in Selbstquarantäne, noch bevor die Regierung überhaupt zu Maßnahmen griff. Durch die Horrorszenarien in Spanien war man gewarnt.
Viele Migranten kamen über die Feiertage aus Großbritannien nach Hause
Anscheinend glaubte man zu sehr an das von internationalen Medien hochgelobte „Corona-Wunder Portugal“. Während die meisten Länder vor Weihnachten und mit Blick auf die britische Virusmutation die Schutzmaßnahmen verschärften, lockerte Lissabon die Einschränkungen – vor allem um den wirtschaftlichen Druck zu verringern. Gleichzeitig kamen viele portugiesische Migranten, die in Großbritannien leben, für die Festtage zurück und haben wohl auch die britische Virusvariante eingeschleppt. PCR-Tests waren für die Einreise nicht notwendig.
Danach reagierte die Regierung viel zu spät, meinen Experten. Erst Mitte Januar wurden Schulen, die Gastronomie und nicht lebensnotwendige Geschäfte wieder geschlossen. Am 24. Januar fanden sogar noch landesweite Präsidentschaftswahlen statt. „Portugal kann anderen Ländern als Warnung dienen, was passiert, wenn Restriktionen zu früh gelockert werden“, erklärt Pedro Simas, Virologe an der Universität Lissabon.