Anti-Drogen-Tag

Suchtmediziner suchen Ausweg aus Substitutions-Dilemma

Die Coronavirus-Pandemie hat Probleme bei der Substitutionstherapie verschärft: Die rund 2600 Suchtmediziner in Deutschland fordern schnelles Handeln und wollen die Vergabe auch an Praxen deligieren.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Suchtmediziner schlagen Alarm, weil derzeit nur rund die Hälfte der opioidabhängigen Menschen in Deutschland eine Substitutionstherapie erhält – auch wegen Corona.

Suchtmediziner schlagen Alarm, weil derzeit nur rund die Hälfte der opioidabhängigen Menschen in Deutschland eine Substitutionstherapie erhält – auch wegen Corona.

© Frank Rumpenhorst / dpa / picture alliance

Neu-Isenburg. Nur die Hälfte der bundesweit rund 160 .000 opioidabhängigen Menschen erhalten derzeit eine Substitutionstherapie. Die COVID-19-Pandemie hat die Situation Betroffener vielerorts noch weiter verschärft.

In einem Eckpunkte-Papier fordert die „Initiative Substitutionsversorgung Opioid-abhängiger Patient*innen“ von Politik, Kassenärztlichen Vereinigungen sowie Ärzte- und Apothekerkammern nun, die nötigen rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Versorgung dauerhaft zu sichern. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass viele der bundesweit derzeit rund 2600 Substitutionsärzte in den nächsten Jahren altersbedingt ausscheiden, ohne dass genügend jüngere für ihre Aufgaben bereitstünden.

Die KVen könnten ihren Versorgungsauftrag schon unter normalen Bedingungen nicht mehr erfüllen, kritisiert die Initiative, der vor allem Suchtmediziner und -forscher angehören und die unter anderen vom Dachverband Substituierender Ärzte, der Deutschen AIDS-Hilfe, der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, und dem Fachverband Drogen- und Suchthilfe unterstützt wird.

Delegation weiter ausbauen

Bedenklich sei auch der Anstieg der Drogentoten in Deutschland, deren Zahl sei im Vergleich zu 2018 um 122 (plus 9,6 Prozent) auf 1398 Menschen gestiegen. Häufigste Todesursachen waren Überdosierungen von Heroin und Morphin.

Die „Initiative Substitutionsversorgung Opioid-abhängiger Patient*innen“ fordert, die finanziellen, organisatorischen und regulatorischen Rahmenbedingungen an die Erfordernisse und Leistungen der Substitutionspraxis anzupassen, um künftig mehr Ärzte für die Substitution zu gewinnen.

Angestrebt werden zudem eine bessere Vernetzung sowie die Delegation der Substitutionsvergabe an Praxen, Suchtkliniken, Einrichtungen der Drogenhilfe sowie an Alten- und Pflegeheime auszuweiten, wie dies die novellierte Betäubungsmittelverschreibungsordnung (BtMVV) ermögliche. Darüber hinaus verlangen die Unterstützer der Initiative, den Stellenwert der Suchtmedizin im Studium und in der Weiterbildung zu stärken.

Die COVID-19-Pandemie hat die Situation der opioidabhängigen Patienten und der sie betreuenden Ärzte weiter verschärft. Die Praxen, heißt es, müssten die Balance zwischen Sicherstellung der Versorgung einerseits und Infektionsschutz andererseits ausloten. Viele der suchtkranken, meist komorbiden Patienten gehören zur Hochrisikogruppe für COVID-19.

Weiterhin sei das Infektionsrisiko für die Praxisteams und die Patienten erhöht, da rund die Hälfte der Substitutionspatienten täglich zur Vergabe der Medikamente in die Praxis komme. Der Forderungskatalog der Initiative enthält daher auch Vorschläge zur Bewältigung der aktuellen Krise mit dem Ziel, die Besuchsfrequenz in der Praxis zu reduzieren und eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen.

Ein Viertel nutzt Konsiliarregelung

Zum Stichtag 1. Juli 2019 waren in Deutschland 79 .700 Substitutionspatienten gemeldet (2018: 79 .400), demgegenüber gibt es 2607 Substitutionsärzte, die Patienten an das Substitutionsregister melden (2018: 2585 Ärzte).

27 Prozent der substituierenden Ärzte behandeln bis zu drei Patienten, die Hälfte zwischen vier und 50 Patienten, 16 Prozent 51-100 Patienten und 7 Prozent der Substitutionsärzte mehr als 100 Patienten. 568 Ärzte (22 Prozent) nutzen die Konsiliarregelung, wonach Ärzte ohne suchtmedizinische Qualifikation bis zu zehn Patienten gleichzeitig substituieren können, wenn sie einen suchtmedizinisch qualifizierten Arzt als Konsiliararzt in die Behandlung einbeziehen.

Die Zahl der gemeldeten Substitutionspatienten pro 100.000 Einwohner ist in den Stadtstaaten Bremen (260), Hamburg (215) und Berlin (153) am höchsten und in Mecklenburg-Vorpommern (17), Sachsen (16) und Brandenburg (4) am niedrigsten.

Anti-Drogen-Tag

Der Internationale Tag gegen Drogenmissbrauch, kurz Anti-Drogen-Tag, wurde auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen 1987 ausgerufen.

Ziel des Aktionstages am 26. Juni ist eine internationale Gesellschaft ohne Drogenmissbrauch .

Infos im Web: weltdrogentag.eu , www.un.org/en/observances/end-drug-abuse-day

Die substituierenden Ärzte in Hamburg behandeln im Durchschnitt die meisten Patienten (43 pro Arzt), jene in Brandenburg die wenigsten (6). In Brandenburg gibt es auch die meisten Kreise mit „weißen Flecken“, wo weder substituierende Ärzte noch Substitutionspatienten gemeldet sind (beispielsweise in Barnim, Märkisch-Oderland, Havelland und Oder-Spree).

Das am häufigsten gemeldete Substitutionsmittel ist Methadon (38,1 Prozent). Dessen Anteil ist jedoch seit 2002 jährlich um etwa 2 Prozent zurückgegangen, während der Anteil von Levomethadon im selben Zeitraum kontinuierlich gestiegen ist und zum Stichtag 35,9 Prozent ausmachte.

Der Anteil von Buprenorphin liegt seit fünf Jahren konstant bei etwa 23 Prozent. Substituiert werden weiterhin Morphin (1,5 Prozent), Diamorphin (1,1 Prozent), Codein (0,1 Prozent) und Dihydrocodien (0,1 Prozent).

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