Corona-Tests und Grippeimpfung
Kinderärzte befürchten Kollaps des Systems
Jedes Kind mit Schniefnase gleich auf das Coronavirus abstreichen lassen? Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte rät davon ab. Ein Test solle nur bei einem begründeten Verdacht erfolgen.
Veröffentlicht:Berlin. Deutschlands Kinder- und Jugendärzte schlagen Alarm. Hintergrund ist eine Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI). Demnach sollen auch Patienten mit leichten Anzeichen auf einen Atemwegsinfekt auf das Coronavirus getestet werden.
Coronavirus-Diagnostik
RKI empfiehlt COVID-19-Test für nahezu jeden mit Symptomen
Die RKI-Empfehlung sei mit Blick auf Erwachsene „noch einigermaßen nachzuvollziehen, da Erwachsene seltener solche Infekte haben“, sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach, der „Ärzte Zeitung“.
Kinder hätten derartige Infekte aber dauernd – vor allem im Herbst und im Winter. „Wenn wir die alle auf SARS-CoV-2 abstreichen sollen, kollabiert das ambulante pädiatrische Versorgungssystem.“
„Man lässt uns im Regen stehen“
Allein in seiner Kinderarztpraxis in Solingen seien zu Beginn dieser Woche an nur einem Tag knapp 70 Patienten nach den RKI-Kriterien auf das Coronavirus abgestrichen worden, berichtete Fischbach. „Das ist so auf Dauer nicht leistbar.“ Bereits im Sommer habe er die „drohende Situation“ dem RKI und dem Bundesgesundheitsministerium geschildert. „Passiert ist seitdem nichts, man lässt uns im Regen stehen.“
Die Situation spitze sich auch deshalb zu, weil nach Wiederöffnung des Regelbetriebs in Schulen und Kitas viele Eltern gedrängt würden, ihre Kinder auf Corona abstreichen zu lassen, „wenn den Kleinen mal die Nase läuft“, sagte der BVKJ-Chef. Die Verunsicherung sei groß. „Sie wird jeden Tag noch verstärkt als gemildert“.
Kinder und Jugendliche sollten dann auf SARS-CoV-2 abgestrichen werden, wenn ein begründeter Verdacht auf eine Ansteckung vorliege – etwa bei Fieber und starkem Husten oder wenn sie Kontakt zu einem an Corona erkrankten Angehörigen hatten, sagte Fischbach. In seiner Praxis sei das bislang kaum der Fall gewesen.
Lediglich zwei von mehr als 1000 von seinem Praxisteam abgestrichenen Kinder seien positiv auf Corona getestet worden. In beiden Fällen sei zuvor der Vater erkrankt gewesen. Bei Kindern mit leichten Erkältungsanzeichen ohne konkreten Verdacht sei eine symptomatische Behandlung ausreichend und sinnvoll.
Debatte um Grippe-Impfung
Mit Blick auf die Debatte um eine vorbeugende Grippeimpfung bei Kindern warnte Fischbach vor möglichen Kapazitätsengpässen. „Uns ist wichtig in diesem Zusammenhang, dass die chronisch kranken Kinder geimpft werden und wir die Eltern hier gezielt ansprechen sollten.“
Zuvor hatte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, Professor Johannes Hübner, dazu aufgerufen, Kinder im Herbst gegen die normale Grippe impfen zu lassen. Es sei bekannt, dass Kinder den Influenza-Virus maßgeblich übertragen würden, sagte Hübner der „Welt am Sonntag“.
Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte wegen der Corona-Pandemie zur Grippeimpfung geraten. Das Gesundheitssystem werde nur schwerlich eine größere Grippewelle und die Pandemie gleichzeitig verkraften können, hatte er der Zeitung gesagt.
STIKO gegen Ausweitung der Grippe-Impfempfehlung
Die Ständige Impfkommission hatte sich zuletzt gegen eine Ausweitung der Grippe-Impfempfehlungen ausgesprochen. Eine Ausweitung der Empfehlung „könnte sich derzeit sogar als kontraproduktiv erweisen“, heißt es in einer Stellungnahme.
Bislang wird der Influenza-Schutz für Menschen mit Vorerkrankungen, Personen ab 60, Schwangere und deren Angehörige im Haushalt, Heimbewohner und Gesundheitsberufe empfohlen. Daran orientiert sich auch die Schutzimpfungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Viele Krankenkassen erstatten die Impfung jedoch auch für weitere Personen.