PharmaStammtisch Bayern
Daran krankt die frühe Nutzenbewertung
Das AMNOG ist seit zwei Jahren in Kraft, die frühe Nutzenbewertung haben bislang 27 Substanzen durchlaufen - aber keiner ist ein "erheblicher Zusatznutzen" anerkannt worden. Woran das liegt, wurde beim PharmaStammtisch Bayern diskutiert.
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Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) in Köln. Es begutachtet Dossiers der Hersteller über Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen.
© IQWiG
MÜNCHEN. Seit knapp zwei Jahren ist das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG), das die frühe Nutzenbewertung neuer Medikamente regelt, in Kraft.
Inzwischen sind 27 Verfahren - Stand Mitte September - abgeschlossen. Doch bei keiner der Substanzen wurde ein "erheblicher Zusatznutzen" anerkannt. Gibt es in Deutschland keine echten Innovationen mehr?
Die zentrale Stellschraube in der frühen Nutzenbewertung ist nach Darstellung von Rechtsanwalt Dr. Ullrich Reese von Partner Clifford Chance in Düsseldorf die Festlegung der "zweckmäßigen Vergleichstherapie" im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA).
Nach seiner Ansicht haben die Kassen ein Interesse daran, die zweckmäßige Vergleichstherapie so festzulegen, dass es bei den später folgenden Preisverhandlungen "nicht zu teuer wird".
Denn wenn der Komparator generisch ist, müsse der Preis von der Industrie in den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband, ausgehend von einem Niveau, bei dem Forschungs- und Entwicklungskosten keine Rolle mehr spielen, "hoch verhandelt" werden, erklärte Reese beim PharmaStammtisch Bayern in München.
Diesen Umstand könnte man auch als eine "Ökonomisierung der frühen Nutzenbewertung" bezeichnen, die in dieser Phase aber nichts zu suchen habe, meinte Reese.
"Die Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie darf sich nicht von der Ökonomie leiten lassen", sagte Reese.
Typisch deutscher Perfektionismus
Ein Problem der frühen Nutzenbewertung sei auch, dass das IQWiG und der GBA die Studien nicht auf der Grundlage der gesamten Studienpopulation, sondern nach Subgruppen analysieren.
Dies führe unter Umständen dazu, dass das Studienkollektiv in kleine Einheiten segmentiert wird und das Gesamtmodell seine statistische Power verliert.
Therapeutische Effekte, die im Zulassungsverfahren noch nachgewiesen werden konnten, würden sich so durch die Betrachtung einzelner Subgruppen "verflüchtigen", erklärte Reese.
Ein kritischer Punkt seien die Surrogatparameter, mit denen man sich oftmals begnügen müsse, weil keine sauber definierten klinischen Endpunkte zur Verfügung stehen.
So wolle der GBA beispielsweise bei Krebstherapien immer das Gesamtüberleben sehen, was bei einer Behandlung, die in dritter oder vierter Linie eingesetzt wird, jedoch kaum nachgewiesen werden könne.
Womöglich sei für einen Patienten auch nicht das Gesamtüberleben einer Krebstherapie, sondern die Lebensqualität der verbleibenden Zeit wichtig, gab Reese zu bedenken.
Das mit dem AMNOG eingeführte Verfahren sei durch einen typisch deutschen Perfektionismus gekennzeichnet, sagte Reese. Die Industrie befinde sich in einer passiven Rolle und habe zumindest in den ersten sechs Monaten eines Verfahrens keinerlei Rechtsschutz.
Andererseits müsse man aber auch die Dialogbereitschaft des GBA, der die frühe Nutzenbewertung als ein "lernendes System" betrachtet, anerkennen, so Reese.
So zeige sich der GBA beim Thema zweckmäßige Vergleichstherapie inzwischen "etwas problembewusster".