Ausbleibende Hilfszahlungen
Das Aus von USAid macht den Ukrainern schon jetzt schwer zu schaffen
Über Nacht stoppt USAid fast seine gesamte Unterstützung weltweit. Besonders ist die Ukraine betroffen. Dmytro Sherembej von der Organisation „100% Life“ macht sich Sorgen, wie er weiter lebenserhaltende Medikamente für seine Klienten finanzieren kann. Der Eklat im Weißen Haus verheißt wenig Gutes für die Zukunft.
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Über Nacht stoppt USAid fast seine gesamte Unterstützung weltweit. Besonders ist die Ukraine betroffen. Dmytro Sherembej von der Organisation „100% Life“ macht sich Sorgen, wie er weiter lebenserhaltende Medikamente für seine Klienten finanzieren kann.
© Till Mayer
Kiew. An der rot gestrichenen Wand hängt in voller Wucht ein schwarzer Schädel. „Corruption Killers“ steht darauf. Das schaut ein wenig wild aus. Und der Schädel war auch bei einer recht wilden Aktion dabei. Als mit schwarzen Särgen vor einem Krankenhaus in Kiew gegen die Korruption im Gesundheitssystem demonstriert wurde. Das war vor vielen Jahren. Aber Dmytro Sherembej erzählt es mit einem leichten Lächeln und nicht ohne Stolz in der Stimme.
Er gehört zu den führenden Köpfen der ukrainischen Organisation „100 % Life“. Berichtet der 48-Jährige von der derzeitigen Situation, wechselt die Stimmlage schnell in einen ernsten, bedrückenden Ton. Wild und vor allem unberechenbar geht es in diesen Tagen in der Welt der Hilfsorganisationen in der Ukraine zu. Über Nacht hatte die staatliche US-Entwicklungsbehörde USAid fast ihre gesamte Unterstützung weltweit ausgesetzt.
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Besonders ist die Ukraine betroffen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Organisationen verlieren in diesen Tagen ihre Jobs, Programme stoppen abrupt. Der Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Staatsoberhaupt Wolodymyr Selensky im Weißen Haus lässt die Hoffnung auf ein gutes Ende weiter schwinden.
Wie sollen lebenserhaltende Medikamente jetzt finanziert werden?
Dmytro Sherembej macht sich Sorgen, wie er weiter lebenserhaltende Medikamente für seine Klienten finanzieren kann. „Wild Child“ steht auf seinem Sweater. „Wild Child“ ist eine Gin Marke aus Kiew. Ein wenig hipster, und der Sweater nicht unbedingt das, was ein „Head of the Coordination Council“ bei anderen Organisationen in vergleichbarer Größe trägt. Aber bei „100% Life“ ist einiges anders. Die Zentrale ist in einem schlichten Industriegebäude am Rande des Stadtviertels Podil untergebracht. Das Gebäude entspricht nicht dem, was man als repräsentativ bezeichnen würde.
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Aber darum geht es bei „100% Life“ auch gar nicht. Aus der einst von Betroffenen, sprich Patienten, geführten Nichtregierungs-Organisation ist eine Stiftung mit einem Jahresbudget von 30 Millionen Dollar (2024) geworden. Zumindest bis zur zweiten Ära Trump war das so.
Dmytro Sherembj ist einer der Gründer. Ende der 1990-er Jahre war er nach eigenen Aussagen ein dreifach Betroffener. „Hepatitis, Tuberkulose und HIV. Das war damals eigentlich jedes für sich ein mögliches Todesurteil“, erklärt er. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebten die Menschen der Ukraine, wie auch in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, ein Jahrzehnt bitterster Armut, den Absturz ins Bodenlose. Die folgenden 2000erJahre waren für die Bevölkerung dann zumindest nicht mehr die Hölle, aber weiterhin eine Katastrophe. Vor allem, wenn man auf teuere Medikamente zum Überleben angewiesen war, wie Dmytro Sherembej.
Bessere medizinische Versorgung wurde erkämpft
„Ich hatte ein wildes Leben, nahm Drogen als Student. Die Erkrankungen änderten mich. Ich hörte auf, Drogen zu nehmen. Ich wollte leben“, sagt er. Mit anderen meist HIV-Betroffenen schloss er sich zusammen. Sie verschafften sich gemeinsam eine laute Stimme, die Gehör findet. Praktisch alle von ihnen waren auf Medikamente angewiesen. Es ging für sie um nicht weniger als darum, für das eigene Überleben zu kämpfen.
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Die Forderung nach einer besseren medizinischen Versorgung wurde von den Aktivistinnen und Aktivisten ganz klar mit dem Kampf gegen Korruption und Verschwendung von Steuergeldern verknüpft. Als 2012 in Polen und der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft ausgetragen wird, macht „100 % Life“ wieder mit einer Kampagne mobil. „In Donezk wurde für Unmengen ein neues Stadion gebaut. Während es in unseren Krankenhäusern selbst an Medikamenten fehlte“, erklärt Dmytro Sherembej. Die „Revolution der Würde“ im Jahr 2014 brachte eine schrittweise Änderung in der Zusammenarbeit mit dem Staat. „Die sich aber bis heute nicht auf unsere Unabhängigkeit auswirkt“, macht der Chef der Stiftung klar.
„100% Life“ entwickelte eHealth für den Staat, ein elektronisches System für Gesundheitsfürsorge. Auch hier finanzierte USAid maßgeblich das Projekt. „Digitalisierung ist wichtig im Kampf gegen die Korruption. Sie verhindert Missbrauch“, erklärt Dmytro Sherembej. Er erläutert, wie die Digitalisierung auch „100 % Life“ transparent macht: „Wir können unseren Unterstützern klar zeigen, was mit ihrem Geld passiert. Selbst Abstimmungen zu wichtigen Themen werden unter den 600 Mitgliedern unkompliziert digital umgesetzt.“ Weiter gehört das medizinische Informationssystem „HIV Infection in Ukraine“ zu den Innovationen, die die Organisation entwickeln ließ.
Hilfsorganisation unterstützt überall in der Ukraine
Mittlerweile gibt es in 24 Regionen der Ukraine eigene Verbände von „100% Life“, eine Million Menschen werden jährlich unterstützt. 1,2 Millionen Lebensmittelpakete wurden an Bedürftige verteilt. 8.000 Ärztinnen und Ärzte beteiligen sich an der „100 % Life“-Community „Your family doctor“. Vier Kliniken der Organisation behandeln in Kyjiw, Poltava, Rivne und Chernihiv kostenlos ihre Patientinnen und Patienten.
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Das medizinische Zentrum von „100% Life“ in Kyjiw. Die erfolgreiche Arbeit der Organisation ist durch den Wegfall der Unterstützung von USAid in Gefahr.
© Till Mayer
Musk bezeichnete USAid als ein Schlangennest von Amerikahassern
Damit ist es offensichtlich vorbei. Trump und sein Berater Elon Musk setzen bei Budget und Personal der US-Bundesbehörden ein dramatisches und völlig unüberlegtes Sparkonzept an. Ganz besonders im Fokus steht die US-Entwicklungsbehörde. „USAid“ wetterte Trump, sei von „einem Haufen radikaler Verrückter“ geleitet worden. Musk setzte noch Kritik darauf. Er nannte USAid „ein Schlangennest radikal-linker Marxisten, die Amerika hassen“. Er bezeichnete die Entwicklungsbehörde gar als eine „kriminelle Organisation“. Dass sich USAid zum Beispiel in der Ukraine für die Liberalisierung der von der Sowjetära geprägten Arbeitsgesetze einsetzte und sich für die Einschränkung des Streikrechts stark machte, klingt dann weniger nach Marxismus. USAid stand nicht selten in der Kritik, für eine allzu wirtschaftsliberale Weltordnung einzutreten.
Die Ukraine war durch den Krieg das Land, dass durch USAid am meisten Unterstützung erfuhr. 2024 flossen von USAid 5,4 Milliarden Dollar für Projekte in das osteuropäische Land. 2025 hätte es für das Kernstück von „100% Life“ eine Steigerung geben sollen. „USAid gehört zu unseren Gebern und Partnern von Beginn an. 2025 sollten wir im Rahmen eines landesweiten staatlichen Verteilungsprogramms für 35 Millionen Dollar Medikamente einkaufen. Verträge mit USAid waren unterschrieben, die Gelder teilweise bereitgestellt. Dann kam die Nachricht: Alles ist ausgesetzt. Jetzt sind die Gelder eingefroren.“ Dmytro Sherembej schüttelt den Kopf. Es sieht nicht gut aus. Die Anordnung eines Bundesgerichts, wonach die Regierung zur Zahlung von finanziellen Mitteln aus der Entwicklungshilfe verpflichtet ist, hat der Oberste Gerichtshof der USA ausgesetzt.
Viele Mitarbeiter haben schon ihren Job verloren
„Als ich Trumps Pläne für USAid erfuhr, war ich nicht überrascht. Trotzdem war es dann doch ein Schock. Ich fühlte mich für einen Moment wieder wie im Jahr 2001, als unsere Arbeit begann“, erklärt er. Dann erinnert er an ein USAid-Projekt für die Landwirtschaft. „Das Saatgut dafür ist vorhanden und wird jetzt in Lagerhäusern weggeschlossen. Was für ein Wahnsinn, mitten im Krieg“, Dmytro Sherembejs Stimme wird ärgerlich.
Bis Juni sind für das Medikamenten-Projekt noch Vorräte da. „Doch wir müssen jetzt schnell Geber finden. Es braucht eine Vorlaufzeit. Besonders, wenn bestehende Strukturen nicht mehr vorhanden sind, wird es schwer“, so Dmytro Sherembej. Er hofft, dass aus Deutschland ein Teil der fehlenden Mittel kommt. Doch dort muss sich erst eine neue Regierung bilden. „Das kostet Zeit, die wir eigentlich nicht haben“, seufzt Dmytro Sherembej.
Auf das Ausbleiben von Geldern hat „100% Life“ schon reagieren müssen. „Hier in der Zentrale haben wir schon ein Viertel der Mitarbeiter entlassen müssen“, sagt er. Ein Schicksal, das Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in der Ukraine teilen. Sie verloren über Nacht ihren Job und ihre Klienten die Unterstützung. „Was uns bleibt? Für das Leben weiter zu kämpfen“, sagt der Mann, der aufgrund seiner HIV-Infizierung auf das lebenserhaltende Medikament Dolutegravir angewiesen ist. Das kostet keine 50 Euro als Monatspackung. „Doch für viele unserer Patienten wäre es völlig unbezahlbar. Sie sind selbst auf Lebensmittelpakete angewiesen“, sagt er zum Abschied.