Europäischer Aktionstag
Gewalt in Praxen und Kliniken: Ärzte in Frankreich rufen zum Streik am 12. März auf
Auch in Frankreich nehmen Gewalttaten gegen Mitarbeiter im Gesundheitswesen zu. Ein besonders krasser Fall, der mit einer milden Bestrafung des Täters endete, brachte nun das Fass zum Überlaufen.
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Dr. Saïd Ouichou in seiner Marseiller Praxis. Er fordert mehr Unterstützung im Kampf gegen gewalttätige Patienten und ruft seine Kollegen zum Streik auf.
© privat
Straßburg. Frankreichs Ärzte fordern wirkungsvollere Maßnahmen und härtere Strafen gegen Patienten, die medizinisches Personal angreifen. Um ihrem Ziel Nachdruck zu verleihen, rufen mehrere französische Ärzteverbände am 12. März zum Streik und zu Demonstrationen auf. 2019 wurde der 12. März zum europäischen Aktionstag gegen Gewalt gegen Mitarbeiter in Gesundheitsberufen erklärt.
Auch in Frankreich nehmen Jahr für Jahr Gewalttaten gegen Ärztinnen und Ärzte in Praxen und Kliniken zu. 2024 wurde eine neue Rekordzahl von landesweit mehr als 1.400 Fällen registriert, darunter 1.000 verbale und 400 körperliche Angriffe.
In Frankreich können Ärzte seit 2003 alle Vorfälle in einem Register bei ihrer Ärztekammer melden, jedoch ist die Dunkelziffer viel höher. Viele Ärzte melden die Aggressionen nicht, auch weil sie Angst vor Repressalien durch Patienten haben, wenn die Justiz ermittelt. Ende 2023 hatte die Regierung versprochen, solche Gewalttaten härter zu bestrafen.
Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde vorbereitet. Aber wegen der seit Juni 2024 andauernden politischen Krise konnte der Entwurf bis heute noch nicht ins Parlament eingebracht werden. Inzwischen denken immer mehr Ärzte, dass das Maß voll ist. Sie wollen selbst Maßnahmen ergreifen.
Drei Wochen Sozialarbeit für einen Schlag gegen den Kopf
Mitte Februar wurde für viele Ärzte die äußerst milde Bestrafung eines 22-Jährigen zum Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Der Patient hatte seinen Hausarzt im Pariser Vorort Drancy mit einem Schlag gegen den Kopf verletzt. Ein praktischer Arzt aus Marseille, der selbst schon mehrmals Opfer von Gewalttaten wurde, rief daraufhin alle Ärzte zum Streik auf und fand ein unerwartet großes Echo.
Der 62 Jahre alte Dr. Saïd Ouichou weiß, wovon er spricht. Der im Norden von Marseille niedergelassene Arzt wurde schon mehrmals von aggressiven Patienten beleidigt oder bedroht. Im Mai vergangenen Jahres wurde eine bei ihm angestellte junge Kollegin von einer unzufriedenen jungen Patientin geschlagen.
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Der Grund: Die Ärztin hatte sich geweigert, eine Laboruntersuchung für die ohnehin abwesende Mutter anzuordnen. Die Ärztin ist nach diesem Vorfall so traumatisiert, dass sie ihre Stelle aufgegeben hat und plant, an einen anderen Ort zu ziehen. Zumindest in diesem Fall fiel die juristische Antwort hart aus: Die 20-Jährige wurde kürzlich zu zwei Jahren Haft verurteilt, davon ein Jahr mit Bewährung. Jetzt sitzt sie erst einmal im Gefängnis.
Ganz anders in Drancy, wo Dr. Mohamed Oulmekki Ende November 2024 nach einem Schlag gegen den Kopf einen Nasenbruch erlitt und bis heute noch nicht wieder arbeiten kann. Am 13. Februar wurde sein aggressiver Patient zu drei Wochen gemeinnütziger Arbeit sowie zu 2.000 Euro Strafe verurteilt. Das sei ein Schlag ins Gesicht aller Ärzte, meinte Dr. Ouichou. Er beschloss, aktiv auf dieses milde Urteil zu reagieren. „Ich appellierte an alle Verbände, an dem noch viel zu wenig bekannten europäischen Tag zu streiken und ich wurde gehört“, erklärt er.
Ärzteverbände unterstützen die Aktion
Drei Ärzteverbände sowie ein großer unabhängiger Ärzteverein haben ihre Mitglieder aufgerufen, am 12. März die Arbeit niederzulegen. Jetzt überlegen sie noch, eventuell an diesem Tag in Paris zu demonstrieren. Darüber hinaus haben Pfleger- und Apothekerverbände, deren Mitglieder genau wie Ärzte von zunehmender Gewalt betroffen sind, ihre Teilnahme an dem Protesttag angekündigt. Alle fordern die rasche Einführung eines Gesetzes, das Gewalt gegen Heilberufler genau so streng wie Gewalt gegen die Exekutive oder die Feuerwehr bestrafen sollte. „Wir können nicht länger warten“, erklärt Ouichou.
Er erinnert auch daran, dass die Situation nur durch eine starke Reaktion der Ärzte verbessert werden kann. „In Marseille wurde die Angreiferin meiner ehemaligen Kollegin hart bestraft, weil wir von Anfang an die Öffentlichkeit über diese Tat informiert haben und die Unterstützung vieler Lokalpolitiker und Medien bekommen haben“, ist er sich sicher. Und die „Mobilmachung“ rund um den Kollegen von Drancy scheint erfolgreich zu sein. Am 25. Februar hat die Staatsanwaltschaft Bobigny Berufung gegen das Urteil der ersten Instanz eingelegt.
Dr. Ouichou geht es nicht nur um Respekt, Würde und Sicherheit der Ärzte, sondern um die Zukunft der Gesundheitsversorgung. „Es gibt schon einen Mangel an Hausärzten in vielen Vorstädten. Wie soll man jüngere Kollegen und vor allem jüngere Kolleginnen dorthin locken, wenn sie sich vor solchen Gewalttaten fürchten müssen?“, fragt er.
Gewalt gegen Ärzte kann die sogenannten „ärztlichen Wüsten“ noch vergrößern und wird zum Teufelskreis, weil längere Wartezeiten auch Spannungen verschärfen. Darüber hinaus beobachtet der Verein „Médecins pour demain“ (Ärzte für Morgen), der auch zum Streik aufgerufen hat, dass Ärztinnen deutlich öfter als Ärzte Opfer von verbalen und körperlichen Attacken sind. Da die Zahl der Ärztinnen in allen Ländern kontinuierlich zunimmt, sind präventive Schutzmaßnahmen besonders dringend“, fasst der Sprecher des unabhängigen Vereins, Dr. Benoit Coulon, zusammen.
Wirkungsvolle Maßnahmen sollen entwickelt werden
Der Europäische Aktionstag gegen Gewalt im Gesundheitswesen (European Day against Violence in Healthcare) wurde 2019 auf Initiative der Spanischen Ärztekammer von der europäischen Vereinigung der Ärztekammern (Conseil Européen des Ordres Médicaux, CEOM) gegründet und zum ersten Mal in Madrid begangen. Anlässlich dieses Tages können nationale Ärztekammern ihre Erfahrungen und Daten vorstellen und austauschen, um wirkungsvollere Strategien zu entwickeln und mit allen europäischen ärztlichen und gesundheitspolitische Gremien kooperieren.
Wichtig bleibt aber vor allem die Arbeit auf der nationalen Ebene. So erklärt die Bundesärztekammer, dass sie den Aktionstag am 12. März zum Anlass nehmen wird, um nochmals besseren Schutz von Ärztinnen und Ärzten vor Gewalt im Zuge ihrer Berufsausübung einzufordern. Unabhängig von diesem Aktionstag sind die Ärztekammern auf diesem Gebiet seit Langem tätig, heißt es auf Nachfrage bei der BÄK.