Erfolgreiche Sondierung
Das plant die Ampelkoalition im Bereich Gesundheit
Vorverhandlungen beendet: Aber was SPD, Grüne und FDP in der Gesundheitspolitik vorhaben, ist noch schwammig. Was schon klar ist: Die PKV soll fortbestehen, ein Primärarztsystem zeichnet sich nicht ab.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. SPD, Grüne und FDP werden ihren Gremien den Eintritt in Koalitionsverhandlungen empfehlen. Das haben die Parteivorsitzenden der drei Parteien am Freitagmittag verkündet. Vorausgegangen waren Sondierungsgespräche bis in den frühen Morgen des Freitags. Koalitionsverhandlungen könnten bereits kommende Woche beginnen. Vor Weihnachten solle die Regierung stehen, sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Freitag.
Eine Bürgerversicherung soll es nicht geben. „Die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung bleiben erhalten“, heißt es in einem zwölfseitigen „Ergebnispapier“. Darin haben die Sondierer Leitplanken für die voraussichtlichen Koalitionsverhandlungen aufgestellt. Eine Vermögenssteuer ist demnach vom Tisch.
„Gute und verlässliche Versorgung“
Unter der Überschrift „Soziale Sicherheit bürgerfreundlich gestalten“ haben die drei potenziellen Partner Eckpunkte zum Thema Gesundheit und Pflege aufgelistet. Die stehen unter dem Leitsatz, dass eine „gute und verlässliche gesundheitliche Versorgung“ überall in Deutschland, in Stadt und Land gewährleistet sein. Bislang bekannte Punkte für die Koalitionsverhandlungen:
Vorsorge und Prävention sollen Leitprinzip der Gesundheitspolitik werden. Als Lehre aus der Pandemie wollen die Partner den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) digitalisieren und stärken. Für die Gesundheitsversorgung haben die drei Parteien einen Bedarf an sektorenübergreifender Vernetzung ermittelt. Der Begriff „Primärarzt“ taucht im Papier allerdings nicht auf.
DRG-System soll weiterentwickelt werden
Das System der Fallpauschalen soll weiterentwickelt und „in Hinblick auf Sektoren wie Geburtshilfe und Notfallversorgung sowie Kinder- und Jugendmedizin“ angepasst werden. Das deutet darauf hin, dass man sich einig ist, in die Finanzierung eine starke Vorhaltekomponente einzubauen.
Die Pflege soll nach Entbürokratisierung und durch Nutzung digitaler Potenziale sowie klarer bundeseinheitlicher Vorgaben bei der Personalbemessung als Berufsbild attraktiver werden. Dafür soll es eine Anwerbe-Offensive für Pflegepersonal geben, gute Arbeitsbedingungen und angemessene Entlohnung inklusive. Zudem sollen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, mehr qualifizierte Pflegekräfte aus dem Ausland zu gewinnen.
Die Parteien informieren nun ihre Gremien. Die Grünen halten am Sonntag einen Kleine Parteitag ab.
Im Mittelpunkt der Kommentare der Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten stand der Stil der Verhandlungen. Es sei „sehr bemerkenswert, wie vertrauensvoll die Gespräche auch bei unterschiedlichen Ausgangspositionen“ geführt worden seien, sagte Olaf Scholz. Der klimagerechte Umbau der Wirtschaft sei das „größte Industrieprojekt der letzten 100 Jahre“, betonte Scholz.
Es habe bei allen Parteien ein Verständnis dafür gegeben, dass jeder etwas geben müsse, sagte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. Deutschland stehe vor einem „Jahrzehnt des Fortschritts“.
Lindner: Zäsur in der politischen Kultur
In den letzten Tagen sei aus einem diffusen Ausgang der Bundestagswahl eine dynamische Entwicklung erwachsen, sagte Grünen-Vorsitzender Robert Habeck. Das sei der hohen Professionalität der Beteiligten geschuldet.
Von einer „Zäsur in der politischen Kultur Deutschlands“ sprach FDP-Chef Christian Lindner. Die an den Tag gelegte Ernsthaftigkeit schaffe Hoffnung auf Aufbruch und habe einen Möglichkeitsraum eröffnet und neue politische Fantasie erzeugt. Es gebe ein gemeinsames Verständnis dafür, dass Deutschland einen „Liberalisierungsschub“ benötige. Lange Zeit habe es keine vergleichbare Modernisierungschance mehr dafür gegeben.
Unionsfraktion keilt aus
Der Vorsitzende der Unionsfrakztion Ralph Brinkhaus bezeichnete das Sondierungspapier als „vage und unklar“. Das Programm sei ein „ungedeckter Scheck auf die Zukunft“. Fraktions-Vize Stephan Stracke vermisste im Papier Aussagen zu den Herausforderungen im Gesundheitsbereich. „Zur Pflege, zur Gesundheitsversorgung in der Stadt und auf dem Land und zur Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung wird nichts Konkretes gesagt“, monierte Stracke. Gänzlich offen bleibe die Finanzierungsfrage angesichts von Milliarden-Defiziten der Krankenkassen.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger mahnte Reformen bei den Sozialversicherungen an, zum Beispiel in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie bei der Rente. In diesen Punkten sei das Sondierungspapier eine Ernüchterung. „Wenn die Ampel wirklich Vorfahrt für Reformen und Modernisierung anzeigt, kann sie eine Chance für Deutschland sein“, fand Dulger aber auch positive Seiten im Papier.
Verbände vermissen Pflegereform
Der Paritätische Gesamtverband übte Kritik. Das Papier enthalte keine Aussagen zu einer umfassenden Pflegereform, die Pflegebedürftige finanziell entlaste. Zudem fehlten Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung in Rente und Pflege. Armutspolitisch bleibe das Papier Antworten schuldig, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbandes.
Es werde deutlich, dass die drei Parteien noch keine überzeugende gemeinsame Antwort auf die drängende Fragen gefunden hätten, hieß es bei der Diakonie. In der Pflege erwarte die Diakonie mehr als das Papier erkennen lasse, nämlich eine umfassende Reform der Pflegeversicherung, die die Eigenanteile der Menschen begrenze, pflegende Angehörige entlaste und den Pflegeberuf attraktiv gestalte.
Gaß: Pflegepersonaloffensive positiv
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft forderte, in den Koalitionsverhandlungen eine Bund-Länder-Zukunftskommission „Krankenhaus“ einzusetzen, um die Krankenhausplanung, die Versorgungsstruktur und die Investitionsfinanzierung aktiv zu gestalten. Der Vorstandsvorsitzende der DKG, Dr. Gerald Gaß, hob hervor, dass die zukünftige Koalition neben den Themen Entbürokratisierung und Nutzung digitaler Potenziale auch eine einheitliche Personalbemessung im Sondierungspapier verankert habe. . Das sei die Chance, das von Verdi, Pflegerat und DKG gemeinsam entwickelte Personalbemessungsinstrument PPR 2.0 schnell und unbürokratisch umzusetzen.