Regierungsprogramm

Das plant die SPD gesundheitspolitisch nach einem Wahlsieg

Wenige Zeilen reichen der SPD im Programm, um ihr gesundheitspolitisches Kernziel zu skizzieren – darunter sind aber massive Änderungen im Gesundheitssystem.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Delegierten des SPD-Parteitags am Sonntag in Dortmund bei der Abstimmung über das Wahlprogramm.

Delegierten des SPD-Parteitags am Sonntag in Dortmund bei der Abstimmung über das Wahlprogramm.

© Kay Nietfeld/dpa

DORTMUND. Die SPD hat ihr "Regierungsprogramm" für die Bundestagswahl am 24. September festgezurrt. Beim Bundesparteitag am Sonntag in Dortmund stimmten die Delegierten einstimmig dem 85-seitigen Papier zu. Darin sprechen sich die Sozialdemokraten für die Rückkehr zu paritätischen Finanzierung der GKV aus. Zudem sollen die Zusatzbeiträge entfallen.

Kern des Programms ist das Vorhaben einer Bürgerversicherung in GKV und sozialer Pflegeversicherung. SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz nannte es in Dortmund eine "Ungerechtigkeit", dass der eine Versicherte "einen Monat auf einen Arzttermin warten muss, während der andere, nur weil er anders versichert ist, sofort drankommt".

Schulz versprach, die SPD werde in der Regierungsverantwortung diese "Ungerechtigkeit durch ein neues System ersetzen".

Vage Umrisse

Allerdings bleiben die Konturen dieses Vorhabens vage. Geöffnet werden soll die GKV für Beamte, die sich gesetzlich versichern lassen wollen. Öffentlichen Arbeitgebern soll es freigestellt sein, ob sie für Beamte in der GKV einen Arbeitgeberbeitrag zahlen oder ob sie wie bisher für die Beihilfe aufkommen.

Ob und wenn ja, in welcher Form Beamte ihre individuellen PKV-Rückstellungen in die GKV mitnehmen, wird nicht erläutert.

Über Anpassungen auf der GKV-Einnahmeseite – wie eine veränderte Beitragsbemessungsgrenze oder die Verbeitragung von Kapitaleinkommen – schweigt sich das Programm aus.

Die Grünen beispielsweise werden hier konkreter. In ihrer Variante der Bürgerversicherung sollen auch Aktiengewinne und Kapitaleinkünfte herangezogen werden.

Selbstständige: Kein fiktives Mindesteinkommen mehr

Konkrete Zusagen gibt es indes für Selbstständige in der GKV. Deren Beitragsbemessung soll einkommensabhängig ausgestaltet werden. Bisher wird für Selbstständige ein fiktives Mindesteinkommen angesetzt, so dass insbesondere viele Solo-Selbstständige an den GKV-Beiträgen schwer zu tragen haben.

Verbessern will die SPD zudem die Leistungen für Zahnersatz und Sehhilfen in der GKV. In Aussicht gestellt werden auch Entlastungen für chronisch kranke Versicherte bei den Zuzahlungen. Hinweise auf mögliche Gegenfinanzierungen enthält das Programm nicht.

Eindeutig ist die SPD hingegen bei der Honorarordnung für Ärzte. Dass die Behandlung von PKV-Patienten höher vergütet wird, "werden wir beenden", heißt es im Programm.

Vorhaben im SPD-Programm

» Integrierte Bedarfsplanung: Prävention, Reha und Pflege sollen einen hohen Stellenwert haben.

» Digitalisierung: Grundlage der Digitalisierung im Gesundheitswesen soll eine "verlässliche, einheitliche Telematikinfrastruktur" bilden. Im Fokus stehe dabei, dass Patienten "die Hoheit über ihre Daten behalten".

» Patientenentschädigungsfonds: Er soll Patienten bei Behandlungsfehlern unterstützen, wenn "haftungsrechtliche Systeme nicht greifen".

» Verhütungsmittel: Frauen mit geringem Einkommen sollen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln erhalten.

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Kommentare
Andor Nemenyi 29.06.201702:46 Uhr

Mogelpackung Bürgerversicherung: GKV-Versicherte werden bluten !

Der Populismus, der unter dem wohlklingenden Deckmantel von "Gerechtigkeit" und "Bürgerversicherung" geschürt wird, darf durchaus als widerlich bezeichnet werden. Neid und Haß werden hochgekocht, die "bösen" Privatpatienten und "raffgierige Ärzte" seien für Ungerechtigkeit verantwortlich.
Ich wundere mich, warum über 70 Millionen GKV-Versicherte Mitbürger sich dafür nicht interessieren oder es sogar gut finden. Denn in Wahrheit sind sie die Opfer der Bürgerversicherung. Warum schaffen es Politiker, die Diskussion auf die Zukunft der PKV und vielleicht noch auf Terminvergaben bei Arztpraxen zu lenken?
Es geht doch im Kern der Bürgerversicherung um die Verbeitragung sämtlicher möglicher Einkommensarten. Also um die Erhebung von Beiträgen auch auf Kapitalerträge sowie Mieteinnahmen. Es lässt sich erkennen, dass in Zukunft alle (!) GKV-Versicherten die Beiträge bezahlen sollen, die heute schon von den "freiwillig gesetzlich Versicherten" gefordert werden. Na gut, damit die Kasse richtig klingelt soll ja auch die Beitragsbemessungsgrenze noch stark angehoben werden.
Hallo? Sind die GKV-Pflichtversicherten in einer andauernden Narkose oder warum fragt da keiner, was es für ihn bedeutet?
Natürlich fallen unter die Kapitalerträge auch die lächerlichen Sparbuchzinsen. Aber die fette Beute liegt bei den mühseligen Ersparnissen "für das Alter".
Und das sollten alle 71 Millionen GKV-Versicherte sich bitteschön mal durch den Kopf gehen lassen: Zu diesen Kapitalerträgen zählen z.B. auch die Auszahlung von Ersparnissen aus Kapital-Lebensversicherungen. Und damit auch auf die komplette Auszahlung Beiträge kassiert werden können, wird ein "monatlicher Zufluss zum Lebensunterhalt" einfach angenommen und verbeitragt. Bei den jetzt niedrigen Zinserträgen bei zugleich hohen Verwaltungskosten und Abschlussprovisionen der versicherungen werden da schnell massenweise negative Renditen das Ergebnis eines jahrzehntelangen Sparprozesses sein. Freut euch, Bürgerversicherte! Oder Zahlungen aus Abfindungen. Selbst relativ geringe Zinserträge wie Sparbuchzinsen sind beitragspflichtig. Hier scheint heute noch kein GKV-Versicherter zu wissen, was das allein für einen Aufwand bedeutet: Jedes Jahr Steuererklärung machen müssen für die Krankenkasse (und nicht für das Finanzamt-trotz Abgeltungssteuer!) Für viele ist das eine Horrorvorstellung.
Aber niemand sagt es, niemand spricht es aus: Die Bürgerversicherung greift in allererster Linie den GKV-Versicherten in die Tasche. Und zwar richtig schmerzhaft tief.
Beruhigt zurücklehnen können sich nur noch die, die heute schon privat krankenversichert sind. Denn deren Verträge bleiben (Bestandschutz) gültig, exorbitante Beitragserhöhungen sind nicht zu erwarten. Und an die Alterungsrückstellungen der PKV kommt die Politik zum Glück nicht ran, die gehören den PKV-Versicherten.
Und was passiert mit den populistisch vermarkteten angeblichen "Ungerechtigkeiten"?
Gar nix. Denn die GKV hat wegen der Pflichtmitgliedschaft schon fast Steuercharakter. Den Beitragszahlern können Zahlungen für Schnickschnack nicht zugemutet werden. Deshalb steht ja auch im "Grundgesetz der GKV" - dem SGB V, dass die Leistungen "wirtschaftlich und zweckmäßig" sein müssen. Wer gute "Hotelleistungen" im Krankenhaus will, muss das eben selbst bezahlen.
Von Top-leistungen und Therapie-Innovationen werden also auch in Zukunft zuerst PKV-Versicherte bzw. Barzahler profitieren. GKV bleibt 2. Klasse bis die "evidenzbasierte Medizin" diese Innovationen über den GBA in den Leistungskatalog aufnimmt. Das dauert.
Ein letztes Wort noch zu der "Ungerechtigkeit" dass Arbeitgeber weniger für die GKV-Beiträge aufwenden als die Angestellten. Auch das ist Populismus. Die Arbeitgeber wenden mehr auf, als die Arbeitmnehmer. Denn sie zahlen zusätzlich zum AG-Anteil auch noch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die ersten 6 Wochen der Erkrankung. Nun bitte rechnen: Bei einem durchschnit

Volker Loewenich 26.06.201718:00 Uhr

Gesundheitspolitik der SPD


Das altbewährte Prinzip der Sozialisten ist: Alle sollen gleich schlecht behandelt werden.
Deshalb hat die frühere SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt doch auch den NHS im UK gerühmt, den sie zu ihrem Glück nicht in Anspruch nehmen mußte.

Thomas Georg Schätzler 26.06.201714:58 Uhr

SPD-Gesundheits- und Krankheitspolitik???

In einem gesundheits- und krankheitspolitischen Programm der SPD muss es, wie in allen Ländern dieser Welt, um Gesundheits-, Krankheits-Vorsorge bzw. Versorgung und Krankenversicherung gehen. Nicht jedoch um Zwei-(oder Drei?)-Klassen-Medizin, sondern um die Zielsetzung staatlichen Handelns und der Gesunderhaltung der Bevölkerung. Möglichst allen Menschen muss eine "Klasse-Medizin" ermöglicht werden.

Umfassende ärztliche Versorgung, Untersuchung, Diagnostik, Therapie, Rehabilitation, Prävention und Palliation/Sterbebegleitung durch optimal motivierte und geschulte Ärztinnen und Ärzte bzw. ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten nicht nur gesundheits- und vernunftbewusste Patientinnen und Patienten erreichen. Damit allen Bürgern selbst bei vital gefährdenden, maligne verlaufenden Erkrankungen und Unfällen medizinisch adäquat und ressourcenorientiert geholfen werden kann.

Daran, dass es Menschen gibt, die mehr oder weniger für Gesundheits- und Krankheits- oder auch Pflegedienstleistungen bezahlen können, die mehr Luxus-Geld dafür ausgeben wollen oder können, wird auch die Bürgerversicherung der SPD nichts ändern. Die populistische
"Abschaffung" der PKV und der Beihilfe ändert daran so wenig wie die Abschaffung der Zwei-Klassen bei der Deutschen Bahn oder das Ende der zahlreichen Hubraumklassen beim KFZ und wird spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern.

Der springende Punkt ist, wie unsere weltweit vorbildliche Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zwischen Solidarität und Selbstverantwortung zukunfts-, demografie- und leistungsgerecht gestaltet wird. Auf der GKV-Einnahmenseite geht es um mehr Beitragsgerechtigkeit: Bei sinkender Lohnquote m ü s s e n zwangsläufig anteilige GKV-Beiträge für volkswirtschaftlich relevante Mieteinkünfte, Gewinne, Beteiligungs- und Kapitalerträge geleistet werden. Wer wie die SPD für Mindestlöhne, Gewerkschaftsrechte bzw. gegen Minijobs, prekäre Arbeitsverhältnisse (über die Agenda 2010 gerade erst geschaffen!) eintritt, macht sich unglaubwürdig, wenn er über 40 Prozent des Volkseinkommens dabei
"vergisst".

Unter der Großen Koalition hat die SPD eine lohnentwicklungsabhängige Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der GKV mit Angleichung der Beitragssystematik an die der Deutsche Rentenversicherung (DRV) ebenso wie die Berücksichtigung "Sonstiger Einkünfte" verschlafen.

Verworren ist die Forderung nach Wiedereinsetzung paritätischer GKV-Beiträge. Wenn Zusatzbeiträge und der 0,9 % höhere Beitragssatz sinnvollerweise abgeschafft werden sollen, ist es völlig hirnrissig, die Arbeitgeberbeiträge als Prozentsatz auf die g e s a m t e Lohnsumme anheben zu wollen. Um "Rache" für Höchsteinkommen und Boni bei Branchen wie Energie, Banken, Kapitalgesellschaften und Versicherungen zu nehmen? Eine derart massive Erhöhung der Lohnnebenkosten bzw. damit Kapital- und Investitionsflucht ins Ausland zu provozieren, nur um ängstlich jegliche BBG-Erhöhung in der GKV zu umgehen, ist eher e n t s o l i d a r i s i e r e n d und rechtlich nicht haltbar.

Geradezu knuffig ist, die unterschiedlichen Vergütungen von gesetzlich und privat Versicherten zusammenführen zu wollen. Daran merkt man, dass Kollege Lauterbach nie als GKV-Vertragsarzt gearbeitet hat, bzw. viele SPD-Genossen privat versichert und beihilfeberechtigt sind. In der PKV besteht die strikte Systematik der Einzelleistungsvergütung; in der GKV die der Pauschalvergütung. Auch im stationären Bereich wird mit Krankenhaustagessätzen u n d Einzelleistungsvergütungen mit Prozentabschlägen privat bzw. gesetzlich überwiegend über DRG-Pauschalen und Sonderpauschalentgelte abgerechnet.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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