Versorgungsstärkungsgesetz vor Verabschiedung
Daumenschrauben für die Selbstverwaltung
Der Gesetzgeber macht ernst: Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz, das am Donnerstag verabschiedet werden soll, demonstriert die Politik, dass ihr die Geduld mit der Selbstverwaltung der Ärzte und der Krankenkassen ausgeht.
Veröffentlicht:BERLIN. Suaviter in modo, fortiter in re - mild in der Methode, aber stark in der Sache: Nach dieser römischen Handlungsmaxime kann man in etwa den gesundheitspolitischen Stil der großen Koalition und des amtierenden Gesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) umschreiben.
Den verbindlich-freundlichen Tönen vor wenigen Wochen beim Ärztetag in Frankfurt folgen nun Gesetze, die der lahmenden Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens Beine machen sollen.
Das ist dringend nötig. Zu wohlmeinend, zu unverbindlich hatte die Vorgänger-Koalition mit dem Versorgungsstrukturgesetz eine Fülle von Möglichkeiten geschaffen, die Ungleichgewichte und sich abzeichnenden Versorgungslücken zu korrigieren.
Die Performance von Kassen, KBV und KVen als den Hauptakteuren ist dürftig. Das soll sich mit dem Versorgungsstärkungsgesetz, das am 11. Juni vom Bundestag beschlossen wird und am 1. Juli in Kraft tritt, ebenso ändern wie mit dem E-Health-Gesetz, das in einigen Monaten folgen wird.
Klare Handlungsaufträge, Fristsetzung, in etlichen Fällen sogar finanzielle Sanktionen. Wer nicht hören will, muss fühlen!
Die neuen Chef-Gesundheitspolitiker
Eines der deutlichsten Warnsignale insbesondere an die Selbstverwaltung der Ärzte ist die gestärkte Position der drei unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses: Josef Hecken als Vorsitzender, Dr. Regina Klakow-Franck und Dr. Harald Deisler als Stellvertreter. Ihre Amtszeit soll nicht mehr auf sechs Jahre beschränkt sein.
Sie bekommen das Recht, eigenständig Richtlinienkonzeptionen zu entwickeln. Der Vorsitzende hat sogar das Recht, Projekte des GBA zu priorisieren, wenn die Aufgabenfülle mit der Arbeitskapazität kollidiert.
Hecken kommt aus der Politik. Er war Gesundheits- und Justizminister im Saarland, dann Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. In dieser Funktion hatte er - als seine Chefin Kristina Schröder (CDU) in Mutterschaftspause war - Ministerfunktion ausgeübt.
Hecken versteht sich nicht (nur) als Moderator der Bänke im Bundesausschuss, sondern als Gestalter mit Machtwillen. Er ist damit zum mächtigsten Mann in der Gesundheitspolitik aufgestiegen.
Dass dies in der Öffentlichkeit überhaupt noch nicht wahrgenommen wird, dürfte seinen Handlungsspielraum eher erhöhen.
Dieser Machtzuwachs ist vor allem eine Folge des Kompetenzvakuums bei der ärztlichen Selbstverwaltung. Deren Gegenseite, der GKV-Spitzenverband, hat sich hingegen seit seiner Gründung vor sieben Jahren hervorragend etabliert und kann Interessenpolitik ohne jegliches Störfeuer aus den Reihen der Einzelkassen betreiben.
Das sieht bei den Ärzten völlig anders aus: Das Verhältnis zwischen der KBV-Zentrale und den Länder-KVen darf inzwischen als zerrüttet gelten.Entsprechend schwierig ist das Verhältnis zwischen Vertreterversammlung und KBV-Vorstand.
Innerhalb des Vorstandes traut man sich nicht über den Weg. Dass darunter die Arbeit der Fachabteilungen leidet, ist nicht verwunderlich.
Es ist auch kein Ruhmesblatt für die Selbstverwaltung, dass der Gesetzgeber dem Bewertungsausschuss explizit in sein Lastenheft schreiben muss, er habe für die neue gesetzliche Leistung der Zweitmeinung eine Vergütung vorzusehen - einschließlich des damit verbundenen administrativen Aufwands.
Und man kann sagen, dass nach dem Pingpong-Spiel um neue diagnostische Leistungen, deren Bedeutung bei der sich allmählich etablierenden stratifizierten Medizin wachsen wird, der Politik durchaus der Kragen geplatzt ist, indem er dem Bewertungsausschuss eine Verfahrensordnung vorschreibt, die zu raschen und transparenten Entscheidungen führt.
Ein absolutes Novum dabei ist, dass externe Antragsteller, also beispielsweise Hersteller eines diagnostischen Tests, ein Recht auf verbindliche Auskünfte des Bewertungsausschusses bekommen.
Das VSG - eine staatliche Notwehrreaktion
Die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems in Deutschland basiert auf der Qualität der Arbeit von Selbstverwaltungskörperschaften - und bislang deutlich weniger auf der Qualität von Gesetzen. Versorgungsstärkungsgesetz und E-Health-Gesetz dokumentieren aber das wachsende Misstrauen des Gesetzgebers in diese Selbstverwaltung.
Die Vorgaben werden detaillierter und naturgemäß auch einheitlicher und zentralistischer. Stück für Stück wird damit die Autonomie eines Berufsstandes entkernt.
Dies wird nie abrupt in einem Schritt geschehen, sondern schleichend, für den einzelnen Arzt kaum spürbar. Ob die schleichende Verstaatlichung der Medizin zu einer besseren Versorgung führt, steht in den Sternen.
Aber Tatsache ist: Das Gesetz, das am 11. Juni parlamentarisch abgeschlossen wird, ist nicht zuletzt eine politische Notwehrreaktion.